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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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kopfschüttelnd. »Das war ein Witz, Smilla.«
    Verdammt, das war alles so tief gehend schön und so schrecklich hoffnungslos. Warum war Liebe nur so kompliziert? Ich hatte vollkommen vergessen, wo ich herkam. Jetzt stürzte die Wirklichkeit mit ganzer Wucht auf mich ein. Dass ich gerade erst sechzehn geworden war. Dass ich Eltern hatte und mein Zuhause auf der anderen Seite des Ozeans lag. Dass wir in sechs Tagen unsere Zelte hier abbauen und La Push verlassen mussten. Und dass ich Conrad vielleicht nie wiedersehen würde.
    Mir schossen Tränen in die Augen.
    »He«, sagte er erschrocken, »was ist denn plötzlich los? Ich habe doch bloß Spaß gemacht.«
    Er nahm mich in die Arme und ich drückte mein Gesicht an seine Brust. Sein Kinn lag auf meinem Kopf und seine Finger strichen über mein Haar. Das war eine ungeheuer tröstliche Geste.
    »Das alles ist kein verdammter Spaß«, brummelte ich in sein T-Shirt, das jetzt ganz nasse Flecken von meinen Tränen hatte. Ich sah ihn an. »Ich würde meine Eltern gerne von dir grüßen. Aber das kann ich nicht, weil sie sonst herkommen und mich nach Deutschland zurückholen.«
    Conrad nahm den Saum seines T-Shirts und tupfte mein Gesicht trocken. »Und ich dachte immer, ihr Deutschen habt was übrig für uns Indianer.« Er lächelte. Dann schob er mit dem Zeigefinger mein Kinn ein Stück nach oben und küsste mich mit geschlossenen Augen. »Keine Bange, kleiner Rabe«, sagte er. »Wir lassen uns etwas einfallen, okay? Aber jetzt geh zurück zu den anderen und rauch die Friedenspfeife mit ihnen.«
    Ich nickte. »Dann bis heute Abend?«
    »Ja, bis heute Abend.«
    Noch ein Kuss von mir. »Und du wirst auch sicher kommen?«
    »Versprochen.«
    Ich telefonierte mit meinen Eltern. Conrad stand ein Stück entfernt gegen die Wand gelehnt und hörte zu. Als ich die Stimmen meines Vaters und meiner Mutter hörte, bekam ich solche Sehnsucht nach ihnen, dass mir die Tränen in Strömen über die Wangen flossen. Conrad sah es. Er gab mir ein Zeichen und ging. Auch wenn er nicht verstand, was ich sagte, musste er doch gespürt haben, dass ich keinen Zuhörer brauchen konnte.
    Ich bedankte mich für die Kamera und erzählte meinen Eltern, wie toll es hier war, dass ich surfen gelernt hatte, dass wir wandern würden und jeden Tag eine Menge Spaß zusammen hatten.
    Dabei merkte ich, wie sehr mir meine Mutter fehlte, mit der ich immer über alles geredet hatte. Na ja, über fast alles. Meistens hatte sie Verständnis gehabt. Und sie hatte mich immer ernst genommen. Wenn sie nicht so weit weg gewesen wäre, hätte ich ihr von Conrad erzählt. Aber das konnte ich nicht, denn sie würde sich Sorgen machen und durch das Telefon konnte ich ihr die Sorgen nicht nehmen. Ich musste versuchen, ohne ihren Rat zurechtzukommen.
    Auf dem Weg ins Camp trockneten meine Tränen. Als ich bei den anderen ankam, sangen sie »Happy Birthday« und Janice hielt einen Donut auf einem Pappteller, den sie mit sechs kleinen Kerzen gespickt hatten.
    Alec umarmte mich als Erster. »Alles Gute zum Geburtstag, Midget.«
    Mark musste sich herunterbeugen und erdrückte mich fast, als er mir gratulierte.
    Brandee wollte nicht die Einzige sein, die mich nicht umarmte. Es war ein seltsames Gefühl, sie so nah zu spüren. Es war auch keine wirkliche Umarmung. Unsere Körper berührten einander kaum. Brandee duftete nach exotischen Blüten und kam mir zerbrechlich, fast schwerelos vor. Wir waren wie zwei Wesen von verschiedenen Sternen.
    Josh schien sichtlich zerknirscht. Erst wusste er nicht, ob er mich umarmen sollte oder besser nicht. Schließlich tat er es und er raunte mir ins Ohr, dass er sich wie ein Idiot benommen hatte und es ihm leidtue.
    Ich war überwältigt, verwirrt und immer noch vorsichtig. Doch nach einer Weile zerstreuten sich meine Bedenken. Ich hatte sogar Geschenke bekommen: eine ausgewählte Sammlung Indianerpostkarten, ein indianisches Armband mit Beerenperlen, das mich vor bösen Geistern schützen sollte, und ein T-Shirt (in meiner Größe) mit einem stilisierten Wal darauf. Sämtliche Geschenke stammten aus dem Souvenirshop an der Straße, aber sie waren gut ausgewählt und ich freute mich wirklich darüber, was ich mehrmals versicherte.
    Aber so nett sie auch zu mir waren, ich machte mir nichts vor: Natürlich waren die Wogen nur an der Oberfläche geglättet. Darunter blieben die Strömungen, die jederzeit gefährlich werden konnten.
    Am Nachmittag, als die Wellen groß genug waren und sauber brachen,

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