Indigosommer
mit Sonnenbrillen auf der Nase in die Sonne. Josh hatte seinen Gettoblaster mitgebracht und nun drehte er ihn auf: Laute E-Gitarren mit einem nervigen Nachhall tönten über den Strand und mischten sich mit dem Rauschen der Brandung. Instrumentaler Rock ’n’ Roll. Beach Musik.
Ich seufzte. Würde die jetzt etwa pausenlos laufen? Das konnte ja heiter werden. Ich mochte Musik, aber hier vor dieser großartigen Kulisse kam sie mir deplatziert vor. Einfach falsch. Und da wir hier ganz allein waren, würde sich noch nicht einmal jemand über den Krach beschweren.
Alec und Josh fachsimpelten eine Weile über Surfbretter, dann liefen auch sie hinunter zum Meer. Ich beobachtete die beiden, wie sie lachten und sich kabbelten wie kleine Jungs, und meine Sorge, was den altersmäßigen Abstand zu ihnen betraf, verflog ein wenig.
Josh bückte sich und hob die lange Kelpschlange auf, die ich aus dem Tanghaufen gezogen hatte. Er schlich sich an und legte sie Brandee, die sich wie eine Katze in der Sonne rekelte, auf den Bauch. Sie sprang kreischend auf, schrie: »Igitt« – und alle lachten. Brandee zeigte Josh den Mittelfinger und hatte nun die Lacher auf ihrer Seite.
Amüsiert schüttelte ich den Kopf. Das Ganze begann, sich richtig gut anzufühlen. Ich lehnte mit dem Rücken an einem sonnenwarmen Treibholzstamm und schloss die Augen. Hinter meinen Lidern ein Spiel schwarzroter Schatten, in meinen Ohren das Rauschen der Brandung und Salzluft in meinen Lungen. Ich saugte die Wärme auf wie eine Eidechse, spürte, wie die Sonne in mein Blut drang und ich mich ungeheuer lebendig fühlte. Und ich wusste: Egal was Alec oder die anderen von mir dachten, ich würde die Wochen in vollen Zügen genießen.
4. Kapitel
S ie tun so, als würde der First Beach ihnen gehören. Als hätten sie, indem sie ein paar Dollar fürs Campen bezahlt hatten, das ganze Reservat für sich gepachtet. Sie haben ihre nervige Surfmusik laut aufgedreht, blödeln herum und ihr sorgloses Treiben schürt seinen Hass nur noch mehr.
Conrad hat sich hinter der breiten Wurzel eines vor langer Zeit angeschwemmten Baumriesen verborgen und beobachtet, wie die Eindringlinge ihr Camp aufbauen, wie sie sich ausbreiten, wie sie den Strand in Besitz nehmen. S einen Strand, den Strand der Quileute seit mehr als achthundert Jahren.
Conrad zählt seine Feinde, damit er weiß, woran er ist. Vier Jungen und drei Mädchen. Dumme Gänse, schwarz, rot und blond. Er registriert die knappen Bikinis der Mädchen, ihre wippenden Brüste. Weiße Bäuche, Arme und Beine, die im Sonnenlicht ölig glänzen. Der Geruch nach Sonnenöl widert ihn an – er riecht ihn sogar hier, in fünfzig Metern Entfernung.
In den nächsten Tagen werden sie surfen, am Strand abhängen, sich mit Musik, Alkohol und Drogen volldröhnen. Und wenn sie wieder abreisen, wird der Strand mit Bierdosen, Zigarettenkippen und Papierresten übersät sein. Conrad hat das schon so oft erlebt. Diese weißen Jungen und Mädchen fühlen sich nicht als Gäste am First Beach. In ihren Adern fließt das Blut von Eroberern und so gebärden sie sich auch.
Er beobachtet den Jungen mit dem braunen Lockenkopf, dem er die meiste Schuld anlastet: Sein Name ist Josh. Er sieht, wie Josh der Großen mit den schwarzen Haaren einen feuchten Kelpschlauch auf den Bauch legt. Das Mädchen kreischt, springt auf und vollführt einen ungelenken Tanz, um die Meerespflanze abzuschütteln. Blöde weiße Zicke, denkt er.
Conrad hat nicht im Traum damit gerechnet, dass sie zurückkommen könnten. Er ist der Meinung gewesen, nach dem, was passiert war, würden sich die drei hier nicht mehr blicken lassen. Offensichtlich hat er sich getäuscht. Warum tun sie das, fragt er sich. Haben sie denn gar kein Gewissen? Kennen Sie den Begriff Schuld nicht?
Er ist so wütend, dass er laut schreien könnte. Er möchte ihnen wehtun, ihnen schaden, aber Milo hat recht: Wenn den Surfern etwas passiert, wird sein Vater schnell wissen, wer dahintersteckt. Er muss Ruhe bewahren und seinen Verstand benutzen. Er wird sie beobachten und abwarten. Warten auf seine Gelegenheit.
Gegen Abend, als es zu dämmern begann, saßen wir am Lagerfeuer zusammen. Das von Sand, Wind und Wellen glatt geschliffene Holz brannte gelb und rot. Indigoblaue Feuerzungen leckten am Treibholz. Salzflammen, magisches Feuer. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, ich liebte die Farben und den Geruch von Treibholzfeuer.
Die anderen unterhielten sich, doch ich blieb still, aus Angst,
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