Indigosommer
leises Knurren, und als ich mich danach umdrehte, sah ich einen dunklen Schatten auf vier Beinen zum Wasser hin verschwinden. Meine Nackenhaare stell ten sich auf. Brandee schien es ähnlich zu gehen, sie hatte Angst, das merkte ich an ihrer steifen Haltung. Vermutlich hatte sie das Knurren ebenfalls gehört, doch sie sagte nichts, weil sie nicht wieder ausgelacht werden wollte.
Brandee Miller hat also auch ihren Schwachpunkt, dachte ich zufrieden. Na gut, sie kam aus New York, da konnte man bei so viel Natur und Dunkelheit schon mal die Nerven verlieren.
Brandee griff nach Alecs Hand und drängte sich an seine Seite. Wir hatten Taschenlampen mitgenommen und beschlossen nun, den Weg am Strand zu nehmen. Dazu mussten wir über den Hügel mit den beiden Schulgebäuden laufen und dann von der Mole, die zur Jamesinsel führte, über eine Treibholzbarriere klettern. Das erwies sich als ziemlich abenteuerlich, denn man musste genau aufpassen, wo man hintrat. Die Stämme waren wild ineinander verkeilt und ich hatte keine Lust, mir die Knochen zu brechen.
Josh fing mich mit beiden Armen auf, als ich von einem großen Stamm in den Sand sprang, und er hielt mich ein paar Sekunden länger fest, als es unbedingt nötig gewesen wäre. Ich hörte sein Herz gegen meines schlagen und lächelte ihm im Dunkeln dankbar zu, einfach weil er mir das Gefühl gab dazuzugehören.
Im Licht des Halbmondes sah James Island aus wie ein schwarzes Urtier. Zurzeit herrschte Ebbe, das Meer hatte sich weit zurückgezogen und der nasse Sand spiegelte den Nachthimmel. Josh lief neben mir und leuchtete uns mit seiner Taschenlampe den Weg aus. Ich fragte ihn, woher er wusste, dass die Quileute-Indianer auf der Felseninsel ihre Toten begraben hatten.
»Das habe ich mal irgendwo gelesen«, sagte er. »In so einem Tourismusprospekt, glaube ich.«
»Schade, dass es kein Museum gibt in La Push«, bemerkte ich.
»Ich würde gerne ein bisschen mehr erfahren über die Leute hier.«
»Die sind total verschlossen«, sagte er. »Die wollen gar nicht, dass Weiße etwas über sie wissen.«
Ich sah Alec, der vor uns lief, den Arm um Brandees Schulter legen und richtete den Blick schnell wieder auf den Boden, wo Tangblasen und Schwemmholzstücke unter unseren Schritten knackten. »Und wieso?«, fragte ich. »Was haben sie denn gegen uns?«
»Na, wir sind weiß.«
»Das ist alles?«
»Glaub schon.«
»Sag mal, war da irgendetwas im letzten Jahr?«, fragte ich. »Ich meine, als du, Mark und Alec hier surfen wart?«
Ich sah, wie Joshs Körper sich versteifte. Er zögerte einen Moment, bevor er fragte: »Was soll denn gewesen sein?«
»Keine Ahnung, aber die beiden Jungs aus dem Restaurant sahen so aus, als wären sie am liebsten über uns hergefallen.« Nach den Bemerkungen von Josh und Alec über Tamra war mir der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht im vergangenen Jahr in Gegenwart der jungen Indianer anzügliche Andeutungen über die Mädchen gemacht haben könnten. Oder schlimmer noch. »Vielleicht habt ihr euch an die Indianermädchen rangemacht«, sprach ich meine Vermutung aus.
Josh lachte laut. »Zugegeben, diese Kellnerin ist wirklich süß, aber es ist besser, die Finger von denen zu lassen. Die wollen doch bloß geheiratet werden.«
Ich fragte mich, wie Josh zu dieser Behauptung kam, da griff er nach meinem Arm und zog mich zur Seite, damit ich nicht auf einen toten Fisch trat. »Hey, pass auf!«
Wir kamen am Hotelgebäude vorbei, das hinter der Schwemmholzbarriere stand, und ich sah in einigen Zimmern Licht brennen. Von den Strandhäusern, die sich dem Hotel anschlossen, waren nur zwei bewohnt, was mich bei den gepfefferten Preisen nicht weiter verwunderte.
Bevor ich weiter nach dem letzten Sommer und den Indianermädchen fragen konnte, sagte Josh: »Morgen wollen wir nach Forks fahren, Vorräte aufstocken und so. Vielleicht haben die ja eine Bibliothek, in der du etwas über die Indianer in La Push finden kannst.«
Das war eine gute Idee, die hätte ich Josh gar nicht zugetraut. »Danke für den Tipp«, sagte ich lächelnd.
Er grinste. »Gern geschehen.«
Wieder zurück im Camp, entfachte Mark ein Feuer und wir saßen noch eine Weile beisammen. Die letzten mitgebrachten Bierdosen und der restliche Whiskey machten die Runde.
»Ich fand es unfair, dass du dem Mädchen das Trinkgeld verweigert hast«, sagte Mark zu Brandee. »Die denken sowieso, dass wir arrogante Arschlöcher sind, deshalb müssen wir uns nicht auch noch so
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