Indigosommer
fühlt sich als etwas Besseres. Die meisten Quileute haben keine Arbeit und leben von Sozialhilfe. Trotzdem macht hier jeder irgendetwas für seinen Lebensunterhalt. Wer ein Auskommen hat, ist froh, aber er tut nicht so, als wäre er mehr wert als die anderen.
Josh, dieses aufgeblasene Arschloch, dieser Wichtigtuer, der verdammte Mörder.
Die alten Quileute, Conrads Vorfahren, die konnten ihre Gestalt ändern und sich in Tiere verwandeln. Er wünscht, ihm würden Zähne und Klauen wachsen und er könnte die Arschlöcher am Feuer damit in die Flucht schlagen.
Als Kinder waren er und Justin nachts oft hierhergelaufen, hatten sich nebeneinander in den kühlen Sand gelegt und die Sterne angesehen. Sie hatten Geschichten erfunden, Pläne gemacht und die nächtlichen Geräusche den verschiedenen Tieren zugeordnet. Conrad, sein Bruder Justin und das Meer, sie waren eine Einheit gewesen. Der Ozean war in ihren Gedanken, er pulste durch ihr Blut, ihre Herzen.
Als ihre Mutter sie verließ, weil sie einen anderen Mann kennengelernt hatte, schweißte das die Brüder nur noch enger zusammen. Justin war damals der Stärkere gewesen und hatte sich um Conrad gekümmert. Er hatte die Briefe der Mutter ungelesen verbrannt und er war auch auf die Idee gekommen, dass sie einander schwören sollten, niemals wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Als Conrad seine Mutter nach Justins Tod zum ersten Mal wiedergesehen hatte, war sie eine Fremde für ihn gewesen.
Sie fehlt ihm, das weiß er jetzt. Genauso, wie ihm Justin fehlt. Bis vor einem Jahr war Conrad davon überzeugt gewesen, dass nichts ihn jemals von Justin trennen könnte. Aber dann ist es doch passiert. Das Meer hat seinen Bruder verschlungen und ihn allein zurückgelassen.
Jetzt ist Justin nur noch ein klaffendes Loch in seinem Leben.
Die Trauer kommt wie ein gewaltiger Brecher, der Conrad völlig unerwartet überwältigt. Er krümmt sich zusammen und fällt auf die Knie. Ein heftiges Schluchzen schüttelt seinen Körper, doch das Rauschen der Brandung übertönt seine Qual.
7. Kapitel
M öwengeschrei weckte mich am nächsten Morgen. Aber der Abend war lang gewesen, deshalb drehte ich mich noch einmal um und nickte wieder ein. Als ich endlich aus dem Zelt kroch, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Während des Frühstücks wurde es warm, noch wärmer als am Tag zuvor.
Die Einkaufstour nach Forks hatten wir für den Vormittag geplant. Unsere mitgebrachten Vorräte gingen langsam, aber sicher zur Neige und im »Lonesome Creek Store« war alles unverschämt teuer.
Da wir die Zelte und die Surfbretter nicht unbeaufsichtigt lassen wollten, sollten zwei von uns im Camp bleiben. Mark meldete sich zuerst und Janice bot sofort an, mit ihm dazubleiben.
Ich sah Alec und Brandee bedeutungsschwere Blicke wechseln. Sollte sich zwischen Mark und Janice tatsächlich etwas anbahnen? Bisher hatte ich wenig davon gemerkt. Kein Händchenhalten, keine verstohlenen Küsse, höchstens ein paar sehnsüchtige Blicke. Mark war ein stiller, introvertierter Typ, der mit Sicherheit eine Menge Probleme in seinem Kopf wälzte. Janice dagegen war quirlig und nahm die Dinge gerne leicht. Wenn Janice über ein Problem stolperte, dann war es in der Regel ziemlich schnell abgehakt. Vielleicht war es gerade diese Unbekümmertheit, die Mark so an ihr gefiel.
Als wir uns mit den Kühlboxen und vollen Müllbeuteln auf den Weg zum Parkplatz machten, waren die beiden emsig beschäftigt – jeder mit etwas anderem. Das war so auffällig, dass sogar ich darüber lächeln musste.
»Solltest du nicht ein bisschen besser auf dein Schwesterherz aufpassen?«, frotzelte Josh, als wir schon ein Stück vom Camp entfernt waren.
»Die kann sehr gut auf sich selbst aufpassen«, erwiderte Alec brummig.
»Na ja, wenn Mark dein Schwager wird, dann bekommst du bestimmt süße Nichten und Neffen.«
Alec blieb stehen, drehte sich zu Josh um und sagte: »Janice ist erst siebzehn.«
Josh grinste. »Na und. Mit vierzehn können sie’s, alles andere ist Faulheit.«
Gegen meinen Willen musste ich lachen.
»Also, ich habe mit vierzehn noch Glitzersticker gesammelt«, bemerkte Laura.
»Und ich Sandburgen gebaut«, sagte ich.
»Und was ist mit dir, Brandee?«, fragte Laura.
Brandee meinte: »Was mich angeht, liegt Josh vollkommen richtig.«
»Na siehst du«, sagte Josh zu Alec.
Der schob seinen Freund weiter. »Ach, hör doch auf mit dem Schwachsinn. Und selbst wenn Janice scharf ist auf Mark, der versteht nur was vom
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