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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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auf ein Surfbrett zu steigen.
    Die Mail an meine Eltern war die kürzeste. Ich schrieb ihnen, dass es mir gut ging, dass es in La Push wunderschön sei und dass ich sie demnächst anrufen würde.
    Dann setzte ich mich an den Tisch und stöberte in dem Bücherstapel, den die Bibliothekarin mir herausgesucht hatte. Am vielversprechendsten erschien mir die Abhandlung eines Anthropologen über die Quileute von 1775 bis 1945. Diese Broschüre mit den vergilbten Seiten und der kleinen Schrift nahm ich mir vor und begann, darin zu lesen.
    So erfuhr ich, dass La Push von la bouche, dem französischen Wort für Mund kam. Dort wo der Mund des Quillayute River den Ozean berührt, lebten die Quileute seit achthundert Jahren. Ursprünglich hatten sie in Langhäusern aus Zedernbrettern gewohnt, die bis zu sechs Familien beherbergen konnten. Ihre Kleidung bestand vorwiegend aus Fellen und weichen Rindenfasern. Sie lebten vom Lachsfang, jagten Wale und Robben im Meer und Hirsche an Land. Die Frauen waren für ihre Korbflechtarbeiten und ihre Decken aus Hundehaar bekannt. Die zwanzig Meter langen Kanus der Quileute konnten mehr als drei Tonnen Last über den Pazifik tragen.
    Ich las, dass sich die Gesellschaft der Quileute in drei Gruppen teilte: den Adel, einfache Stammesmitglieder und Sklaven. Sklaven? Das waren meist Kriegsgefangene und ihre Nachkommen, wie ich erfuhr. Offensichtlich waren die Quileute kein friedliches Volk gewesen. Es gab geheime Lieder und Tänze und strenge Regeln. Nur die Krieger durften den Wolfstanz aufführen. Auf Potlachs, großen Schenkungsfesten, zeigten die Mächtigen ihre Überlegenheit, indem sie andere mit Geschenken beschämten. Wow.
    Ich blätterte weiter und las vom Glauben an übernatürliche Kräfte und persönliche Schutzgeister. Mein Kopf glühte, so spannend war die Lektüre. Die Broschüre war zu dick, die Schrift zu klein, die Zeit zu kurz. Doch ich las mich immer wieder fest und merkte überhaupt nicht, dass Brandee hinter mir stand, keine Ahnung, wie lange schon.
    »Ich dachte, du wolltest deine E-Mails checken«, sagte sie spitz. »Was liest du denn da?« Sie klappte das Buch zu und studierte den Titel. »Gehörst du etwa auch zu diesen Indianerfreaks?«
    »Mich interessiert, wer die Quileute waren, ihre Bräuche, ihre Regeln«, sagte ich.
    »Warum?« Brandee ließ eine Kaugummiblase platzen. »Es ist eh nichts mehr davon übrig.«
    »Vielleicht ja doch«, sagte ich.
    Sie durchbohrte mich mit ihrem kalten Blick. »Das Auto ist fertig. Alec wartet.«
    »Ich komme«, sagte ich, »ich muss nur die Bücher zurückgeben.«
    Auf der Rückfahrt erzählte Alec von einem Billardsalon, den er und Brandee entdeckt hatten. Doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn mit meinen Gedanken war ich in der alten Welt der Quileute.

8. Kapitel
    E s war fast vier Uhr, als wir ins Camp zurückkehrten. Laura beschwerte sich, dass sie mit Josh die Lebensmittel allein hatte schleppen müssen, bloß, weil ich meine E-Mails checken wollte.
    Obwohl ich den Vorwurf dämlich fand, fühlte ich mich schuldig und schon wieder war es da, dieses Gefühl, anders zu sein und nicht in die Clique zu passen.
    »Na, schließlich ist Smilla ein ganzes Stück weiter weg von zu Hause als du«, sagte Alec und ich warf ihm einen dankbaren Blick zu.
    »Sie hat ihre Mails gar nicht gecheckt«, sagte Brandee.
    »Was?« Alec sah erst mich und dann Brandee fragend an.
    »Sie hat sich als Hobby-Anthropologin betätigt und die Bräuche der Ureinwohner studiert.«
    Blöde Kuh, dachte ich.
    Nun starrten mich alle an und ich kam mir vor wie jemand, der etwas Verwerfliches getan hatte und sich nun dafür rechtfertigen sollte. Ich sagte: »Nachdem ich meine Mails beantwortet hatte, habe ich mir noch ein paar Bücher über die Quileute geben lassen.«
    »Das mit der Bibliothek war meine Idee«, sagte Josh. »Und, hast du was Interessantes rausgefunden?«, fragte er mich.
    »Na, zum Beispiel, dass die Quileute Sklaven hatten.«
    »Ist das wahr?« Josh kam näher.
    »Ja«, sagte ich. »Sie machten ihre Kriegsgefangenen zu Sklaven und ließen sie für sich arbeiten.«
    Ich merkte, dass auch das Interesse der anderen geweckt war, und hätte ihnen gerne noch mehr über die Quileute erzählt, aber Brandee seufzte genervt und sagte: »Das ist doch Schnee von gestern, Leute. Jetzt sind diese Krieger bloß noch ein versoffener Haufen, der seine Wut auf die Weißen an ihren Autos auslässt. Wenn es nach mir ginge, hätten wir längst unseren Kram gepackt

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