Indigosommer
versuchte erst gar nicht, auf das Brett zu steigen. Ich hielt es einfach nur unter mir fest, so gut es ging. Und dann riss mich die Welle mit sich und das Ganze fühlte sich echter und wirklicher an, als alles, was ich bisher er lebt hatte. Adrenalin überschwemmte mein Gehirn. Und die Welle trug mich zum Strand.
Als ich mit zitternden Knien wieder am Ufer stand und zurückblickte, sah ich Josh, wie er mir winkte. Lächelnd winkte ich zurück. Mein Herz klopfte, als wollte es aus meiner Brust springen. Ich fühlte mich großartig. In diesem Moment bekam ich eine Ahnung davon, was sie antrieb, immer wieder auf ihre Surfbretter zu steigen und nach der richtigen Welle Ausschau zu halten. Es war wie eine Sucht, die nun auch mich erfasst hatte.
Komm, Smilla, sagte das Meer.
Also kämpfte ich mich erneut durch das Weißwasser und versuchte, die kleineren Wellen auf dem Brett liegend zu surfen. Ich spürte den Puls des Meeres, als ob er durch mich hindurchging. Als ich das dritte Mal draußen war, tauchte plötzlich der Seehund auf. Sein pelziger brauner Kopf mit dem freundlichen Gesicht schaukelte neben mir im Wasser und seine großen schwarzen Robbenaugen sahen mir belustigt zu. Er tauchte und ritt eine Welle.
Na wunderbar, dachte ich. Auch die Robbe schien mir zu sagen: Mach einfach nach, was ich mache. Und dann merkte ich, wie die Welle mich von hinten erfasste und ganz sanft ans Ufer trug.
Diesmal ging ich an Land. Das Wasser zog an meinen Fußgelenken und ich spürte aufs Neue, welche Kraft es hatte. Erschöpft und glücklich schälte ich mich aus dem nasskalten Surfanzug und wickelte mich in ein Handtuch. Ich setzte mich auf einen Treibholzstamm und sah den anderen noch eine Weile zu. Das Licht der Abendsonne ergoss sich über die bewegte Oberfläche des Meeres und schimmerte in orangefarbenen, indigoblauen und violetten Splittern.
Ich zitterte und meine Nebenhöhlen brannten vom Salzwas ser. Doch ich war glücklich. Ich war mit einer Robbe auf einer Welle geritten.
Bevor die anderen aus dem Wasser kamen, schnappte ich mir frische Sachen, mein Waschzeug und meine Taschenlampe und ging duschen. Auch Laura, Janice und Brandee hatten das Bedürfnis, sich das Salzwasser vom Körper und aus den Haaren zu waschen, den Jungs hingegen schien ein Bad im Meer genug an Körperhygiene zu sein.
Als wir Mädchen von den Waschräumen zurückkamen, brannte ein Feuer. Mark hatte Holzspieße zurechtgeschnitzt und Alec das Schweinefleisch in mundgerechte Würfel geschnitten. Im Sand lagen schon ein paar leere Bierdosen. Wir steckten die Würfel auf die Spieße und rösteten das Fleisch über dem Feuer. Die Mädchen stellten sich furchtbar unbeholfen an, bekamen aber großzügige Hilfe. Janice saß neben Mark, und auch wenn die beiden kaum miteinander redeten, war mir klar, dass da etwas zwischen ihnen lief. Ich sah es daran, wie Mark Janice ansah und wie behutsam seine Gesten waren.
Das Paddeln im Wasser hatte mich hungrig gemacht und mein Magen knurrte auf einmal so laut, dass alle es hörten.
»Hu, ein Wolf«, rief Josh. Die anderen kicherten. »Smilla hat sich tapfer geschlagen heute«, sagte er.
»Das finde ich auch«, sagte Janice.
Mark nickte mir mit einem anerkennenden Lächeln zu.
»Es hat Spaß gemacht«, erwiderte ich und wurde vom herrlichen Gefühl der Zugehörigkeit überschwemmt.
Alec zog die Lasche an einer Bierdose hoch und der Schaum spritzte. »Sie braucht ein anderes Brett«, sagte er. »Das Boogie ist scheiße.«
»Das Brett ist okay für mich«, sagte ich. »Lasst mich nur machen.«
Alec trank und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Aber damit kommst du nicht weit, Midget.« Er hielt die kalte Bierdose an seine Stirn.
»Wo soll ich denn hin?«, fragte ich amüsiert. »Nach Japan vielleicht?«
»Keine schlechte Idee«, meldete sich Brandee, die bisher geschwiegen hatte. »Dort kannst du bestimmt viele Sitten und Gebräuche erforschen.«
Niemand lachte über ihren Gag und auch ich hatte keine Lust, mir von ihr die Laune verderben zu lassen. Deshalb ignorierte ich sie einfach.
»Hey«, sagte Josh zu Alec, »Smilla hat gerade erst angefangen. Lass ihr Zeit.«
»Das Brett ist trotzdem scheiße«, beharrte Alec. »Tut mir leid, Midget. Aber ich habe einfach nicht gedacht, dass du es wirklich versuchen willst.«
Das Fleisch auf unseren Spießen war gar. Wir aßen es mit weichem Toastbrot, tranken Bier dazu und hatten Spaß. Die böse Überraschung vom Vormittag schien längst
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