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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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vermasselt.
    Doch völlig unvermutet glomm ein spöttisches Leuchten in Conrads Augen auf, so, als amüsierte er sich insgeheim. »Woher weißt du das eigentlich?«, fragte er. »Ich meine, dass meine Vorfahren an diesem Strand ihre Fische gegrillt haben.« Er ging zum Geländer.
    »Ich war in der Bibliothek in Forks«, sagte ich, »und habe ein paar Sachen gelesen.«
    »Was für Sachen denn?«
    »Na, dass ihr Quileute noch vor hundertfünfzig Jahren mit Rindenröcken bekleidet und Speeren bewaffnet umhergelaufen seid.«
    Conrad wandte sich ab, aber ich sah noch, dass er versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen. Er stützte sich mit der Linken auf das Geländer der Veranda und trank seinen Eistee aus. »Hast du auch gelesen, was in diesen hundertundfünfzig Jahren mit meinem Volk passiert ist?« Er stellte den Becher auf den Boden.
    »Nein. Die Zeit war zu kurz, um alle Kapitel zu schaffen, alles zu verstehen«, sagte ich. »Vielleicht würden die Touristen ja respektvoller mit eurer Kultur umgehen, wenn sie ein bisschen mehr darüber erfahren könnten, während sie hier sind. Aber da gibt es nichts. Nur ein paar Postkarten.«
    »Nein.« Conrad drehte sich um und lehnte sich nun rücklings gegen das Geländer. »Es gibt keinen dämlichen »Willkommen in La Push«-Reiseführer, weil wir die Fremden nicht noch anlocken wollen. Es reicht schon, was diese Schriftstellerin mit ihrem Vampirbuch angerichtet hat. Seit es raus ist, sind im Sommer Mädchen mit Zahnspangen hinter uns her.«
    Ich musste lachen, weil ich mir das bildlich vorstellte. »Und warum habt ihr nicht wenigstens ein Museum?«
    »Weil es nichts gibt, was wir in die Vitrinen stellen könnten«, antwortete Conrad. »1889 hat ein weißer Siedler das gesamte Dorf abgefackelt, während die Leute auf der Jagd oder beim Fischen waren. Die Gebrauchsgegenstände, die historischen Masken und Körbe, alles, was wir schon besaßen, lange bevor die Weißen kamen, ist verbrannt. Mein Volk hat sein Gedächtnis verloren. Stand das etwa nicht in deinem schlauen Buch?«
    »Warum hat der Mann das getan?«, fragte ich, unbeirrt von seinem Sarkasmus.
    »Er hatte das Land gekauft, auf dem die Häuser meiner Vorfahren standen. Er wollte es bewirtschaften. Nach dem Brand mussten die Leute ihre Häuser neu aufbauen und dafür blieb ihnen nur das Land nah am Wasser. Bei Sturm oder Hochwasser wurden die neuen Häuser regelmäßig überflutet.«
    »Aber das war vor hundertzwanzig Jahren«, sagte ich mit rauer Stimme.
    »Es passiert heute noch manchmal. Die Nehrung wurde befestigt, aber die Winterstürme sind gewaltig. Du hast keine Vorstellungen, was hier abgeht, wenn es stürmt.«
    Ich dachte an die riesigen Stämme am First Beach und hatte eine vage Vorstellung. »Ich verstehe«, murmelte ich kleinlaut. »Das ist wirklich ein Grund, uns Weiße zu hassen.«
    Conrad betrachtete mich mit undurchdringlicher Miene. »Ich hasse dich nicht, Smilla.«
    Wie er meinen Namen aussprach, so weich, das passte überhaupt nicht zu seinem Gesichtsaudruck. Ich sah ihn an. »Aber Josh und die anderen. Warum, Conrad?«
    Ich sah, wie seine Hand das Geländer umklammerte, wie er schluckte und mit sich rang, aber er presste nur die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte es gerne verstehen«, sagte ich.
    Seine Augen waren plötzlich von einer dunklen Trauer erfüllt. »Ich kann nicht«, sagte er. »Es hat keinen Sinn.«
    »Warum nicht? Weil ich auch weiß bin?«
    »Weil es nichts ändern würde.«
    Conrad ging zu wie eine Auster, aber ich ließ nicht locker. »Irgendetwas war doch da im vergangenen Jahr. Josh und Alec sind irgendwie komisch, was dich angeht.«
    Conrad wich meinem Blick aus. »Was haben sie dir denn erzählt?«
    »Nichts. Aber Alec ist ausgerastet, als er erfuhr, dass ich mit dir geredet habe. Als hätte er Angst, dass du mir etwas erzählen könntest.«
    Conrad schüttelte den Kopf und schwieg. Wahrscheinlich bereute er nun, mir so viel offenbart zu haben. Was hielt er so fest in seinem Inneren verschlossen?
    »Okay«, sagte ich traurig, »verstehe. Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Die anderen werden sich langsam fragen, wo ich bleibe.« Ich reichte ihm meinen Becher mit dem Rest Eistee. »Ich finde alleine raus«, sagte ich und lief davon.
    Als ich wieder auf der Straße stand, drehte ich mich noch einmal um und sah, wie Conrad auf dem Balkon stand und mir mit trauriger Miene nachblickte. Er sah so aus, als ob er eine Umarmung mehr brauchen würde als

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