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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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eines Tages übernehmen.«
    Ich warf noch einen Blick auf die Seesterne, dann wieder auf Conrad. Sein Unbehagen war ihm deutlich anzusehen. Er rieb sich die nackten Arme, als würde er frieren. Vermutlich wurde ihm das Chaos in seinem Zimmer durch meine Anwesenheit erst so richtig bewusst.
    Ich strich mir eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr . Sag Auf Wiedersehen und verschwinde, Smilla, hörte ich die Stimme der Vernunft in mir. »Na denn...ich will dann mal wieder...«
    »Wie geht es deinen Rippen?«, fiel Conrad mir ins Wort.
    »Oh, gut. Ich merke fast nichts mehr.« Ich strebte zur Tür.
    »Möchtest du vielleicht einen Eistee?«
    Überrascht sah ich ihn an. »Ja, warum nicht.«
    »Geh schon mal raus auf den Balkon, okay? Ich bin gleich bei dir.«
    Er verschwand nach unten, und nachdem ich noch einen Blick auf Conrads augenblickliche Lektüre geworfen hatte (»Reservation Blues« von Sherman Alexie), trat ich durch die offene Tür hinaus auf den fast drei mal fünf Meter großen Balkon.
    An der blauen Hauswand war das Feuerholz mannshoch gestapelt. Es war von rötlich gelber Farbe und strömte einen würzigen Duft aus. Der silbern ausgeblichene Totempfahl überragte das weiß gestrichene Geländer noch um etwa einen Meter. Ich trat an das Geländer heran und blickte auf den Quillayute River und die Nehrung, die ihn vom offenen Meer trennte. Ein Windzug wehte über den Balkon. Ich hörte ein raues Klimpern und drehte mich um.
    Von der Kante des Regendaches, das sich über den halben Balkon erstreckte, hingen verschiedene Windspiele herab. Eins war aus Muscheln, eines aus bizarr geformten Schwemmholzstücken und eines aus vom Wasser glatt geschliffenen Glasstücken. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über die stumpfen Scherben, als Conrad mit einem roten und einem blauen Plastikbecher zurückkam.
    »Die sind schön«, sagte ich.
    »Meine Mutter hat sie gemacht.« Er reichte mir den roten Becher und ich trank einen Schluck Eistee. Die Eiswürfel brannten kalt an meinen Lippen.
    »Verkauft sie sie?«
    »Vielleicht tut sie das, dort, wo sie jetzt ist.«
    Ich hörte den Vorwurf in der Stimme, ahnte, dass da eine Wunde war, aber ich wollte alles wissen, alles, was Conrad bereit war, an diesem Nachmittag von sich preiszugeben.
    »Wo ist sie?«
    »Sie lebt in San Francisco. Hat einen weißen Maler kennengelernt und ist mit ihm fortgegangen. Das war vor neun Jahren.«
    Auch Conrads Mutter war also mit einem Weißen gegangen. Die Tatsache klang in seinem Mund wie Verrat. Langsam dämmerte mir, wie umfassend der Groll der Quileute auf die Weißen wirklich war.
    »Es tut mir leid, was gestern Abend passiert ist«, sagte ich. »Josh und Alec sind ziemlich wütend wegen ihrer Autos. Na ja und Brandee hat ihnen natürlich erzählt, dass sie mich mit dir gesehen hat.«
    Conrad musterte mich, er beobachtete meine Augen, als könnten sie ihm mehr verraten als meine Worte.
    »Sie sind nicht so übel, wie du denkst«, sagte ich. »Wenn Josh zu viel getrunken hat, dann redet er Blödsinn und leidet an Selbstüberschätzung.« Keine Ahnung, was in mich gefahren war, dass ich anfing, sie zu verteidigen. Ich sah, wie Conrads Blick sich verhärtete, seine Mundwinkel nach unten gingen und sein Gesicht diesen verächtlichen Ausdruck annahm.
    »Sie sind ein armseliger Haufen«, sagte er. »Wenn dir das bisher nicht aufgefallen ist, bist du ganz schön naiv.«
    Ich biss mir auf die Lippen. Alec und seine Freunde mochten weiß und wohlhabend sein und eine Menge Vorurteile haben, was die amerikanischen Ureinwohner anging – aber das machte sie noch nicht zu einem armseligen Haufen. Ich konnte es nicht leiden, wenn jemand eine ganze Gruppe über einen Kamm scherte, nur weil einer etwas Dummes gesagt oder getan hatte. Abgesehen davon, dass er mich mit seinen Worten verletzt hatte, war auch Conrad voller Vorurteile.
    »Vielleicht bin ich naiv«, sagte ich, »aber wenigstens bin ich nicht voreingenommen wie du.« Ich merkte, wie das ganze Gespräch eine Wendung nahm, die ich nicht gewollt hatte. Aber ich redete weiter. »Du hasst alle Weißen, ob nun mit oder ohne Surfbrett, keine Ahnung, warum. Vielleicht, weil sie Spaß auf eurem Meer haben und ihre Feuer dort brennen, wo früher mal deine Vorfahren ihre Fische gegrillt haben – ich weiß es nicht.«
    Conrad starrte jetzt mit finsterer Miene zu mir herüber. War ich zu weit gegangen? Ich hatte kein Recht, solche Dinge zu sagen, Dinge, die ihn verletzen mussten.
    Ich hatte es

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