Indische Naechte
mildern, fragte sie: »Was geschieht nun, da wir hier sind?«
»Wir warten darauf, bis der Maharadja uns zu sich ruft. Der Kämmerer wird unsere Bitte an ihn weiterleiten.« Ian musterte ihre luxuriöse Umgebung ohne Begeisterung. »Ich hoffe, Rajiv Singh wird uns bald empfangen.«
Auch wenn er es nicht aussprach, wußte Laura, was er dachte: Es würde anstrengend sein, so dicht beieinander zu sein, ohne Beschäftigung zu haben. Und sie konnte seinem Wunsch, der Maharadja mochte sie nicht zu lange warten lassen, nur zustimmen.
Ihre Hoffnungen wurden mit erstaunlicher Schnelligkeit erfüllt. Laura war kaum mit ihrem Bad fertig, als der Kämmerer kam und meldete, daß Seine Gnaden, Majestät Rajiv Singh, Sohn des Himmels und Herrscher der Erde, bereit war, seine Gäste zu empfangen. Darauf folgten zehn hektische Minuten, in denen Meera Laura beim Ankleiden half.
Zu Ehren des Ereignisses zog Laura ein konventionelles Tageskleid mit dazugehörigem Korsett an. Sie hoffte, Rajiv Singh würde ihre Bemühungen um seinetwillen zu schätzen wissen. Danach schlang Meera Lauras Haar hastig zu einem festen Knoten am Hinterkopf zusammen. Als Musterbeispiel britischer Fraulichkeit eilte Laura anschließend in den Salon, in dem ihr Mann geduldig dem Kämmerer Namen, Titel und Ehrbezeichnungen aufzählte, die dieser brauchte, um ihn ordnungsgemäß dem Maharadja melden zu können. Ian hatte sich ebenfalls umgezogen und wirkte nun so distinguiert, wie es einem Mann mit einer Augenklappe nur möglich war.
Als sie das Zimmer verließen, trug Ian seine übliche Unerschütterlichkeit zur Schau, aber Laura fand ihn ein wenig zu beherrscht. Sie sprach ihn leise auf Englisch an. »Freust du dich nicht, daß wir es so schnell hinter uns bringen können? Du siehst so zweifelnd aus.«
»Ich bin einfach von Natur aus mißtrauisch«, murmelte er. »Emir Nasrullah von Buchara war ausgesprochen herzlich, als er mich zum ersten Mal empfing. Ja, seine Gastfreundschaft war in der Tat höchst großzügig, bis zu dem Moment, in dem er mich in den Kerker werfen ließ.«
Besorgt warf sie ihm einen Blick zu. »Sagt deine Intuition dir, daß etwas nicht stimmt, oder ist es nur angeborene Vorsicht?«
»Letzteres«, antwortete er ohne zu zögern. »Die Situation ist jetzt gänzlich anders. Nasrullah hatte den Ruf, verrückt zu sein, und haßte alle Europäer. Rajiv Singh dagegen ist der klügste, vernünftigste Fürst in Indien.«
Dann schwiegen sie, bis sie den großen Raum, Durbar genannt, erreichten, in dem der Maharadja Audienzen hielt. Er war mit glitzerndem Kristall, leuchtendem Gold und schimmerndem Marmor ausgestattet. Dutzende von reichgekleideten, plaudernden Höflingen lungerten in den Ecken herum. Laura hatte den Eindruck, in diesem Raum befänden sich mehr Juwelen, als man in ganz England finden konnte.
Inmitten dieser betäubenden Pracht hätte sie fast eine Stufe übersehen, denn das diffuse Licht im Saal warf nur wenige Schatten. Sofort erkannte sie, daß es für Ian mit seinem einen Auge praktisch unmöglich sein mußte, diese Erhöhung wahrzunehmen, also packte sie fest seinen Arm, als wäre sie nervös und benötigte seine Ermutigung. Ohne darauf zu achten, daß er sich augenblicklich versteifte, flüsterte sie: »Vor uns eine Stufe, noch etwa zwei Schritte.«
Mit ihrer Warnung gelang es ihm, ein Stolpern zu vermeiden. »Danke«, murmelte er, als sie die Stufe gemeinsam und erfolgreich hinter sich gebracht hatten.
Obwohl keine weiteren Hindernisse in Sicht waren, hielt sie seinen Arm weiterhin fest, bis sie den Perserteppich erreichten, der vor dem Podest mit dem Thron lag. Die Stimme des Kämmerers ertönte: »Ian Cameron, Lord Falkirk of Falkirk, vierzehnter Baron Falkirk und siebter Baron Montieth, ehemaliges 46. Eingeborenen-Infanterieregiment, und Lady Falkirk.«
Ian verbeugte sich, und Laura knickste. Dann hob sie den Kopf und betrachtete den Maharadja. Von der Tür aus betrachtet, war er nur eine weitere funkelnde Gestalt gewesen, doch nun riß sie erstaunt die Augen auf. Sie hatte zwar gehört, daß Rajiv Singh intelligent und mächtig war, niemand hatte ihr aber gesagt, daß er auch derart attraktiv aussah, daß jede Frau entzückt sein mußte. Er war groß und durchtrainiert, und sie schätzte ihn auf Ende Dreißig. Unter seinem scharlachroten, juwelenbesetzten Turban funkelten dunkle, humorvolle Augen, die seine Gäste mit unverhohlener Neugier musterten.
Dann sprach er sie in fehlerfreiem Englisch an. »Willkommen
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