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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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verlorene Ehre wiederherstellen. Zwar wußte niemand außer Laura, welche Schande er in Buchara über sich gebracht hatte, aber das Bewußtsein seines Scheiterns machte es ihm unmöglich, Laura zu sagen, was sie für ihn bedeutete. Laura verdiente einen Mann von Mut und unbefleckter Ehre, nicht einen allzu menschlichen Schwächling, der den unheroischen Wunsch besaß, zu überleben.
    Auch wenn er es gehaßt hatte, Laura fortschicken zu müssen, war er ziemlich sicher, daß keine Gefahr für ihr Leben bestand. Gulab Khan zu treffen, war unglaubliches Glück gewesen. Nicht nur, daß er ihnen lebenswichtige Informationen hatte liefern können — für ihn und seinen Stamm war es nun eine Ehrenpflicht, Laura zu beschützen, nach allem, was sie und er selbst für den Havildar getan hatten. Es war weitaus besser, einen Afridi zum Freund als zum Feind zu haben, so daß sie zumindest sicher war.
    Die Geräusche wurden nun lauter. Obwohl man es in der Schlucht schwer beurteilen konnte, schätzte er, daß der erste Afghane bald um die Biegung kommen würde. Er war bereit: das Gewehr geladen, Munition neben ihm und ein nasser Lumpen unter dem Lauf, um ein Überhitzen zu vermeiden. Zum Glück hatte er einen Hinterlader, der sich viel schneller handhaben ließ als der primitive Vorderlader, den die meisten Afghanen besaßen.
    Es war zwar nicht das erste Mal, daß er in den Bergen kämpfte, aber bisher hatte er immer Freunde an seiner Seite gehabt. Diesmal würde er allein kämpfen und vielleicht allein sterben.
    Also gut.
    Dann kam der erste um die Biegung. Ian hob ohne Hast seine Waffe und drückte ab. Die Kugel nahm ihren Lauf tödlich und sicher, und der trockene Knall zerriß die Luft. Der Afghane schrie auf und taumelte zur Seite, dann stürzte er in die Schlucht. Seine Stimme hallte von den Steinwänden wider, bis sie nach einem dumpfen Aufprall verstummte.
    Ian lud rasch nach, als auch schon der nächste kam. Geduckt und mit dem Jezail im Anschlag suchte er die Berge über ihm ab. Ian feuerte wieder. Noch ein Schuß, noch ein Treffer. Dieser fiel auf den Pfad, nicht in die Schlucht.
    Er erschoß ein halbes Dutzend Männer, bevor sie nicht weiter nachdrängten. Sechs Kugeln, sechs Treffer. Hervorragende Zielgenauigkeit, aber Ian konnte sich nicht daran freuen. Menschen zu töten war höchstens eine Notwendigkeit, keine Quelle des Stolzes.
    Eine lange Zeit geschah nichts. Den Blick auf den Pfad fixiert, trank Ian etwas Wasser. Schließlich erklang eine Stimme in Pashto. »Wer ist da? Wir sind keine Feinde. Wenn du Wegzoll willst, dann bezahlen wir ihn. Dann kannst du dich zu uns gesellen, denn wir können einen Krieger wie dich gebrauchen.«
    »Aber wir sind Feinde«, rief Ian zurück. »Ich diene dem Sirkar, und ich sage euch, daß ihr nicht vorbeikönnt!«
    Schweigen. Dann, wie er es erwartet hatte, schoß eine kleine Gruppe Männer hinter der Biegung hervor und suchte eine Deckung, um von dort aus das Feuer zu erwidern. Aber es gab keine Deckung. Methodisch schoß er einen nach dem anderen ab. Drei schafften es noch, wild herumzuballern, bevor sie stürzten, aber sie hatten keine Zeit mehr, seine Position auszumachen, und die Kugeln schlugen nicht einmal in seiner Nähe ein.
    Es war kein Krieg, es war eher, als würde man zahme Vögel abknallen. Aber es war effektiv. Sehr effektiv.
    Wieder entstand eine Pause. Dann brüllte eine Stimme: »Im Namen Allahs, wirst du uns erlauben, die Verwundeten zu holen?«
    »In seinem Namen, ja. Ihr könnt sie holen!« erwiderte er.
    Der erste Mann kam um die Biegung, die Hände hoch in der Luft. Als klar wurde, daß der Schütze sein Wort hielt, huschten mehrere herbei. Hastig hoben sie ihre Gefallenen auf und verschwanden wieder.
    Ein Stimmengewirr folgte. Die Afghanen berieten sich, was sie tun sollten. Es war schade um die armen Bastarde. Sie hatten keine Chance gehabt. Dennoch hörte er keine Geräusche eines Rückzugs.
    So wartete er ruhig auf den nächsten Angriff.
    Es war nicht überraschend, daß Laura sich verirrt hatte. Wenn sie nicht so erschöpft und so sattelmüde gewesen wäre, hätte sie es für eine Alptraumlandschaft gehalten: karg, kalt und endlos. Doch leider war dies die Wirklichkeit, so wie Gulab Khan, der über dem Widerrist von Ians Pferd zusammengesun-ken war. Am Abend zuvor hatte er noch genug Kraft gehabt, selbst abzusteigen, und mit Begeisterung hatte er gegessen. Als der Morgen dämmerte, fieberte er und war kaum mehr in der Lage, allein auf das Pferd zu

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