Individuum und Massenschicksal
Morgen des vergangenen Sonntags, als sie um vier Uhr früh aufgestanden war, um zu frühstücken und einige Notizen für ihr Buch zu machen. Durch den offenen Innenhof lauschte sie den ersten Vogelrufen, die sie ins Freie lockten, um den nebelverschleierten Sonnenaufgang mitzuerleben. Sie war wie verzaubert.
»Niemand außer mir sah, was ich von meinem persönlichen Gesichtspunkt aus an diesem Morgen erblickte«, schrieb sie eine Stunde später.
Ich fühlte mich wie privilegiert, einem Neubeginn der Welt -, oder doch meines Zipfels dieser Welt - beizuwohnen. Oder es war, so dachte ich plötzlich, als täte sich mir ein neuer Bereich meiner Psyche auf, umgewandelt in Bäume, Gras, Blumen, Himmel und Nebel... Mir war, als blickte ich auf den Teil meiner selbst, dem ich unablässig auf der Spur bin - den Teil, der so klaräugig ist wie ein Kind und eins mit seinem eigenen Wissen. Dieser Teil existiert jenseits unserer Sorge über Karriere, Geld oder Ruhm, jenseits aller von Familie, Freunden oder der Welt ganz allgemein gehegten Ansichten und Meinungen. Er ist unsere direkte Verbindung zum Universum... aus dem wir in jedem Augenblick unseres Lebens entstehen.
So nannte ich diesen Teil meiner selbst in jenem Augenblick › The God of Jane‹ - Janes Gott -, und mir erscheint dies als eine sinnvolle Bezeichnung.
So verstanden hat jeder von uns seinen persönlichen ›Gott‹, und ich bin der festen Überzeugung, daß uns das Universum kennt, ganz gleich, wer oder wo oder was wir sind. Ich denke, daß es einen Gott für Mitzi und einen Gott für Billy, für jede unserer Katzen, gibt und daß jeglichem Bewußtsein, ungeachtet seiner jeweiligen Entwicklungsstufe, diese innige Verbindung mit dem Kosmos eignet...«
Wieder einmal war Jane, wie schon fast den ganzen Tag über, völlig entspannt, und zur Abendbrotzeit hatte sie sogar erwogen, die Sitzung zu überspringen. Die Situation hatte aber einen humoristischen Aspekt, denn Seth selbst schien sehr daran gelegen zu sein: Als wir für die Sitzung Platz nahmen, sagte Jane, daß sie von ihm Material zu mehreren Themen erhielt. »Da drüben - links von mir - spricht er über die Beschränktheiten unserer Persönlichkeit. Weshalb würden wir uns denn als beschränkt bezeichnen, wenn wir nicht fühlten, daß mehr im Dasein steckt, als wir für gewöhnlich annehmen?« Das war wieder eine dieser Ideen, die, einmal geäußert, auf der Hand zu liegen scheinen. Jane fing auch etwas von Seths Diktat für heute abend auf. »Aber mir ist ganz gleich, worüber er spricht«, sagte sie, »solange er nur den Anfang macht und mich in Gang hält.«)
(Um 21.19 Uhr flüsternd:) Guten Abend.
(»Guten Abend, Seth.«)
Diktat: Kehren wir nun wieder zu unserer Erörterung der Impulse zurück, im Zusammenhang mit wahrscheinlichen Handlungsweisen.
(Pause.)
Ihr lebt inmitten von Impulsen. Ihr müßt unzählige Entscheidungen in eurem Leben treffen, müßt eure berufliche Laufbahn, euren Partner, euren Wohnort wählen. Die Erfahrung kann euch beim Treffen solcher Entscheidungen helfen, doch müßt ihr auch dann schon Entscheidungen treffen, wenn ihr noch keine jahrelangen Erfahrungen hinter euch habt.
Im großen ganzen, ob ihr euch dessen nun bewußt seid oder nicht -
denn einige von euch sind es und andere wiederum nicht -, hat euer Leben eine bestimmte psychologische Gestalt. Diese Gestalt wird durch eure Entscheidungen bestimmt. Ihr trefft Entscheidungen aufgrund gefühlsmäßiger Impulse, dies oder jenes zu tun, auf die eine oder die andere Weise aktiv zu werden, motiviert sowohl durch persönliche Impulse als auch aufgrund von Forderungen, die dem Anschein nach von anderen an euch gestellt werden. Dem weiten Feld der zahllosen euch offenstehenden Wahrscheinlichkeiten seid ihr natürlich nicht ohne ein paar Richtlinien ausgesetzt. Andernfalls wärt ihr immer in einem Zustand der Unentschlossenheit. Eure persönlichen Impulse geben euch diese Richtlinien, indem sie euch anzeigen wie ihr Wahrscheinlichkeiten am besten nutzt, so daß die in euch an gelegten Möglichkeiten am vorteilhaftesten zur Geltung kommen und dadurch konstruktiv auch zum Besten der Gesellschaft beitragen.
Wenn man euch lehrt, euren Impulsen nicht zu vertrauen, und ihr glaubt das, so büßt ihr euer Entscheidungsvermögen ein, und ungeachtet der jeweiligen Lebensumstände beschleicht euch ein Gefühl der Machtlosigkeit, weil ihr davor zurückscheut, aktiv zu werden und zu handeln.
Ruburt erhält viel Post von Menschen,
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