Individuum und Massenschicksal
annehmbaren und unannehmbaren Verhaltens?
Worin besteht, nach eurem Verständnis dieser Begriffe, der Unterschied zwischen einem Verbrechen und einer Sünde? Kann der Staat euch für eine Sünde strafen? Sicher kann er euch für ein Verbrechen bestrafen. Ist das Recht als die Summe aller normierten Gesetze vielleicht die Widerspiegelung von etwas anderem - ein Widerschein der dem Menschen innewohnenden Suche nach dem Ideal und seiner Verwirklichung? Wann treten Gesetze in Gestalt leibhaftiger Idealisten auf den Plan? Warum stimmt ihr ein solches Hohngelächter an, wenn die tönernen Füße der Politiker zum Vorschein kommen? (Pause.) Inwiefern betrifft euch das als Individuen? Wir werden mit dem Individuum beginnen.
(Pause um 21.59 Uhr, dann flüsternd:) Jedes Individuum ist ursprünglich von einer guten Absicht beseelt, wie verborgen diese Absicht auch sein mag oder wie verfehlt die Mittel und Wege, die zu ihrer Verwirklichung führen sollen, auch sein mögen.
Wie der Körper von Kindheit an wachsen will, so wollen auch alle Begabungen und Fähigkeiten des Menschen wachsen und sich fortentwickeln. Jeder Mensch hat seine eigenen Ideale, und Impulse bahnen diesen Idealen ihre eigentümlichen, ganz besonderen Entwicklungswege - Wege, die sowohl dem einzelnen wie auch seiner Gesellschaft Erfüllung bringen sollen. Impulse liefern nähere Angaben und konkrete Anstöße. Sie verweisen auf ganz bestimmte Ausdrucksmöglichkeiten, die dem Individuum ein Gefühl für eigenschöpferische Leistung geben und einen großen Schaffensspielraum erschließen, und die von selbst ankommenden Rückmeldungen dieses Ausdrucks lassen den betreffenden Menschen wissen, daß er zur Bereicherung seiner Umwelt beiträgt.
(Nach langer Pause:) Diese natürlichen Impulse werden, sofern sie befolgt werden, ganz von selbst zu politischen und sozialen Organisationen führen, die sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Entwicklung fördern. Und somit würde dank eurer Impulse ungezwungen eins ins andere fließen, würden persönliches Handeln und Wirken ganz natürlich gesellschaftliche Relevanz gewinnen.
Wenn man euch beibringt, eure Eingebungen und Impulse zu hemmen und ihnen zu mißtrauen, dann kommt es in euren Organisationen zur Verstopfung. Alles, was euch dann bleibt, ist das unbestimmte Verlangen, der theoretisch bleibende Wunsch, die Welt zu verbessern. Da ihr der persönlichen Macht eurer Handlungsimpulse beraubt seid - die eigentlich Wegbereiter dieses Idealismus sein könnten, indem sie euch eure persönlichen Fähigkeiten entwickeln helfen -, bleibt euch nur ein unbestimmter, drängender, ja quälender Wunsch, konstruktiv zu handeln, in die gegebenen Umstände ändernd einzugreifen, ohne jedoch irgendeine Möglichkeit zielführenden Handelns zu sehen. So kommt es zu fortwährender Frustration, und wenn ihr sehr an euren Idealen hängt, kann diese Situation euch zur Verzweiflung treiben.
(Pause in einem auch weiterhin kraftvollen Vortrag:) Ihr werdet dann vielleicht beginnen, die Kluft zwischen eurem verallgemeinerten Ideal und den zahlreichen konkreten Beispielen menschlicher Profitgier und Korruption, die euch allenthalben in die Augen springen, übertrieben zu sehen. Und vielleicht beginnt ihr dann auch, euch auf eure eigenen Schwächen zu konzentrieren, und in eurem Gefühl wachsender Unzufriedenheit mag es euch so vorkommen, als ob die meisten Menschen von etwas getrieben wären, das auf ein völliges Fehlen jeglicher guten Absicht schließen läßt.
Ihr werdet vielleicht entrüstet, empört oder, schlimmer noch, von Selbstgerechtigkeit erfüllt sein, so daß ihr alle diejenigen anzugreifen beginnt, mit denen ihr nicht übereinstimmt, (sehr nachdrücklich) weil ihr nicht wißt, wie ihr euren Idealen oder eurer eigenen positiven Absicht sonst entsprechen könnt.
(22.15 Uhr.) Zu versuchen, die Welt zu verbessern, scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein, denn allem Anschein nach seid ihr machtlos, und all die nützlichen kleinen Privataktionen, die ihr unternehmen könnt, erscheinen im Kontrast zu eurem verallgemeinerten Ideal so winzig, daß ihr sie verächtlich von der Hand weist, und so versucht ihr erst gar nicht, eure Fähigkeiten konstruktiv einzusetzen. Ihr beginnt nicht bei euch selbst, eurem Leben, eurer Arbeit, euren Angehörigen. (Lauter:) Was zum Kuckuck macht das schon für einen Unterschied in der Welt, wenn ich eine bessere Verkäuferin oder Büroangestellte, ein besserer Rohrleger oder Autohändler
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