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Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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muss«, sagte er ernst. »Ob man in der Welt leben will, die du die echte nennst, oder im Refugium. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Draußen kenne ich niemanden mehr. Alle meine Freunde sind längst gestorben. Alles, was ich kannte, ist zu Staub zerfallen.«
    Ines blickte gebannt in seine Augen.
    Â»Wie alt bist du, Vopelian?«
    Er rieb sich die tätowierten Fingerknöchel. »Ich weiß es nicht. Aber es sind Jahrhunderte vergangen, seit ich in das Refugium ging. Als ich mich aus der Welt zurückzog, gab es noch einen Kaiser in Rom und Kriege tobten in der Stadt Athen, in der ich damals lebte … Es gab Plünderungen und Gewalt, garstige Dinge … ich mag nicht daran denken.«
    Ines setzte schweigend einen Bauern nach vorn. Sie hatte es insgeheim geahnt: Der Mann, dem sie gegenübersaß, war steinalt. Etwa zweitausend Jahre, wenn sie im Geschichtsunterricht richtig aufgepasst hatte.
    Konnte man überhaupt so lange im Refugium überleben? Wurde man da nicht wahnsinnig?
    Â»Hast du es nie bereut, die Welt verlassen zu haben?«, fragte sie.
    Â»Nein, nicht wirklich. Aber ich verstehe, dass deine Oma dich davor gewarnt hat, zu lange im Refugium zu bleiben. Irgendwann gibt es kein Zurück mehr. Die Zeit verläuft hier anders. Und sie mag es nicht, wenn man in sie hineinpfuscht.«
    Ines musste an den gestrigen Abend denken. Noch immer löste die Erinnerung Unbehagen in ihr aus.
    Â»Hast du dich nie gefragt, was die Refugien sind?«, fragte sie Vopelian. »Wo sie herkommen? Wer sie erbaut hat?«
    Er zögerte. »Es gibt … ein Buch. Ich habe es vor Jahren auf meinen Streifzügen durch den Nebel gefunden, in einem verlassenen Raum. Ich glaube nicht, dass es für meine Augen bestimmt war, aber ich nahm es an mich. Darin stand einiges über die Herkunft der Zimmer. Aber ich hab es nie ganz gelesen. Ich wollte es nicht wissen.«
    Ines hing an seinen Lippen. »Warum nicht?«
    Er schüttelte traurig den Kopf. »Es ist nicht gut, zu viel zu wissen. Zu gefährlich, kleine Ines.«
    Beinahe wurde sie wütend. Wie konnte dieser Mann so gleichgültig sein? Er besaß ein Buch über die Geheimnisse des Refugiums und hatte es nicht gelesen? Das konnte doch nicht wahr sein!
    Â»Ich würde zu gerne mal darin blättern«, sagte sie. »Kannst du es mir nicht leihen?«
    Vopelian wich ihrem Blick aus und beugte sich über das Spielbrett. »Schach und matt!« Er setzte ein Pferdchen über Ines’ Bauern hinweg. »Ich fürchte, du hast verloren.«
    Ines schmollte. »Sieht so aus.«
    Â»Aber du hast gut gespielt«, lobte ihr Gegenüber. »Vielleicht hast du beim zweiten Mal mehr Glück.« Vopelian erhob sich ächzend vom Teppich. »Weißt du was? Bau die Figuren wieder auf, Ines. Ich werde derweil in mein Refugium zurückkehren und das Buch holen. Vielleicht kannst du mehr damit anfangen als ich.«

27.
    Nach der vierten Partie stand zweierlei fest: dass Ines nie eine Schachmeisterin werden würde und Vopelian umsonst durch den Nebel gewandert war.
    Denn das Buch, das er aus seinem Refugium geholt hatte, war keine Hilfe: Es war von vorne bis hinten in Altgriechisch geschrieben. Ines konnte nicht einmal die Buchstaben lesen.
    Das Buch war alt, vielleicht nicht so alt wie Vopelian, aber beeindruckend genug: gebunden in sprödes Leder, die achtzig Seiten fest und dick, die blasse Schrift mit geheimnisvollen Zeichnungen illustriert. In den Einband war ein goldenes Symbol geprägt, das Ines an eine geborstene Kugel erinnerte.
    Â»Wie soll ich das lesen?«, fragte sie Vopelian. »Ich kann kein Griechisch.«
    Â»Ich werde es dir beibringen«, bot er an. »Wenn wir uns nun öfter sehen …«
    Das dauerte Ines zu lange.
    Â»Könntest du mir das Buch nicht vorlesen?«, lautete ihr Gegenvorschlag.
    Aber das lehnte Vopelian ab. Er schien froh, das Buch los zu sein, und wollte nicht mehr darüber sprechen.
    Nach dem vierten Schachspiel verabschiedete er sich daher, nicht ohne Ines das Versprechen abzunehmen, das Treffen bald zu wiederholen.
    Â»Gehab dich wohl, Nachbarin«, sagte er, als er durch das Fenster zurück in den Nebel stieg. »Beim nächsten Mal wirst du mich bestimmt schlagen. An Klugheit fehlt es dir nicht, nur an Übung.«
    Â»Du klingst wie meine Lehrerin in der Schule«, scherzte Ines und schloss das Fenster hinter ihm.
    Dann schnappte sie

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