Ines oeffnet die Tuer
kräftige Geschmack des Kakaos, die feine Prise Anis, mit der Carmen die Schokolade würzte, das wohlige Gefühl der heiÃen Milch im Bauch â es gab nichts, was Ines so sehr mit Kindsein, Geborgenheit und Trost verband.
Seit Carmen nicht mehr an der Oper sang, musste Ines sich ihre heiÃe Schokolade allerdings selbst machen, wenn ihr danach war. Heute war so ein Tag. Der Streit mit Sonja, ihre Enttäuschung über Karol und Agnes ⦠sie brauchte eine Aufmunterung.
An diesem Nachmittag war sie allein zu Hause. Carmen war mit Julian beim Arzt (seine Mittelohrentzündung hatte sich wieder verschlimmert), und Veith war in das Dorf von Agnes gefahren, um sich um das Haus und die Katze zu kümmern. Solange Agnes verschwunden war, musste jemand sie füttern. Er wollte eine der Nachbarinnen um diesen Gefallen bitten.
Ines setzte in der Küche Milch auf und zerkleinerte auf einem Brett eine halbe Schokoladentafel. Auf der Stereoanlage im Wohnzimmer hörte sie ihre Lieblings-CD von Miranda Kersh in voller Lautstärke. Sie summte leise mit, während sie die Schokoladenstücke in den Topf mit der dampfenden Milch rührte. Der himmlische Geruch verbesserte schlagartig ihre Laune.
Karol ist wirklich ein Idiot, dachte sie. Eigentlich sollte ich ihm eine SMS schreiben und ihm das sagen.
Sie wartete, bis der Kakao schaumig war, und füllte ihn in eine Kanne um. Dann ging sie in ihr Zimmer, goss sich eine Tasse ein und trank den ersten Schluck. Das schmeckte! Und beflügelte Ines gleich zu neuen Taten.
Ich muss wissen, was es mit dem Refugium auf sich hat. Und es gibt nur einen Weg, das herauszufinden â¦
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Die Tür des Refugiums lieà sich ohne Probleme öffnen. Drinnen brannte wieder ein Feuer im Kamin, nur die Fackeln neben der Tür waren verschwunden. Der Sessel schnurrte behaglich, als Ines mit der Hand über seine Lehne fuhr.
Sie hatte sich gut vorbereitet. Die Kanne mit der heiÃen Schokolade stellte sie auf der Kommode ab, schloss die Tür und zog ein Teelicht und ein Feuerzeug aus ihrer Hosentasche. Beides hatte sie in der Küche eingesteckt.
Vopelians Bronzelampe stand noch auf dem Sims. Ines öffnete die Seitenklappe, stellte die Kerze hinein und entzündete sie. Verhalten flackerte die Flamme im Inneren.
Ob man dieses kleine Licht durch den Nebel sehen kann?, fragte sich Ines. Na ja, wir werden sehen.
Sie schob den Sessel zum Fenster, damit sie hinausblicken konnte, nippte an der Schokolade und wartete.
Als sie bei der dritten Tasse war und ihr Bauch schon schwer von der Milch, löste sich endlich ein Schemen aus dem Nebel.
Es war Vopelian. Er trug wieder ein blaues Hemd mit verziertem Kragen. Unter seinem Arm klemmte ein Holzkasten. Aufgeregt winkte er Ines zu.
Sie sprang auf und öffnete das Fenster.
»Chaire!«, begrüÃte er sie. »Hell brennt die Flamme Ihrer Gastfreundschaft.«
»Na ja«, sagte Ines und blickte zweifelnd auf die Bronzelampe. »Ich war mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob Sie das Licht wirklich sehen können.«
Vopelian reichte ihr den schweren Kasten und kletterte durchs Fenster herein. Er war ein bisschen dick und musste ganz schön ächzen, bis er es geschafft hatte.
Da stand er nun in ihrem Refugium. Er war kleiner als gedacht und überragte Ines gerade mal um einen halben Kopf. Dafür strahlte er über das ganze Gesicht.
»Ich habe ein Schachbrett und Figuren mitgebracht. Ach, wie ich mich freue ⦠es ist so lange her, dass ich eine Partie mit einem anderen Menschen gespielt habe.«
Er musste wirklich sehr einsam sein â und nun ganz aufgeregt, dank Inesâ Gesellschaft. Fast stolperte er über den Stoff seiner zu weiten Leinenhose.
»Wir müssen uns auf den Teppich setzen«, sagte Ines. »Es gibt hier keinen Tisch.«
»Das macht überhaupt nichts.«
Ãchzend lieà sich Vopelian auf dem Boden nieder. Ines zog das türkische Kissen heran, damit ihr Gast dort das Schachbrett aufbauen konnte, welches sich im Kasten verbarg. Es war aus Marmor und glänzte im Schein des Kaminfeuers. Ines hatte noch nie ein so schönes Schachbrett gesehen. Und erst die Figuren! Auch sie waren aus Stein und detailliert gefertigt. Die Augen der Pferdchen waren winzige Edelsteine, der Gesichtsausdruck des Königs war grimmig und die Königin eine stolze Frau mit wallendem Haar. Die Figuren warfen geheimnisvolle Schatten auf das
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