Ines oeffnet die Tuer
Schachbrett.
»Ich kann aber nicht besonders gut spielen«, warnte Ines ihren Besucher.
»Ãbung macht den Meister. AuÃerdem spielen wir um der Freundschaft und guten Nachbarschaft willen.«
Vopelian überlieà Ines die weiÃen Figuren. Sie zog den Königsbauern nach vorn und wartete auf Vopelians Antwort. Dabei beobachtete sie ihn verstohlen. Er hatte ein freundliches Gesicht und glühte vor Begeisterung.
Nach ein paar Zügen wagte Ines eine Frage.
»Gehen Sie eigentlich häufig im Nebel spazieren?«
Vopelian zog seine Finger von der Läuferfigur fort, die er gerade hatte bewegen wollen.
»Nur noch selten, Ines. Es ist ungemütlich da drauÃen, recht kalt und trist. Und man verirrt sich leicht. Einmal fand ich nicht zu meinem Fenster zurück und glaubte schon, ich müsste drauÃen sterben. Aber zum Glück sah ich dann doch ein Licht, und ein freundlicher Nachbar half mir, den Weg zurück zu finden.«
»Gibt es denn viele andere Fenster?«
Vopelian dachte kurz nach. »O ja. Ich habe sie nie gezählt, aber es müssen wohl an die hundert sein. Früher konnte man sie gut sehen, als der Nebel schwächer war â¦Â«
»Und hinter jedem Fenster liegt ein Refugium, in dem jemand lebt?«, fragte Ines.
»Nein, die meisten sind verlassen«, seufzte Vopelian und zog nun doch den Läufer, um Inesâ Dame zu bedrohen. »Manche Fenster sind blind oder verrammelt, oder man blickt durch sie in ein leeres, ausgebranntes Zimmer. Es muss lange her sein, dass jemand sie bewohnt hat.«
Ines rettete ihre Dame hinter die Linie der Bauern zurück. »Davon hat mir meine Oma nie etwas gesagt. Ich dachte immer, es gäbe nur dieses eine Refugium.«
»Hat sie dir das Zimmer geschenkt?«, fragte Vopelian. Jetzt duzte er sie schon â aber das war Ines ganz recht. Sie nickte.
»Und dein Refugium, Vopelian? Wer hat es vor dir besessen?«
»Mein Lehrer«, erzählte ihr Gast. »Ein weiser Gelehrter aus Athen. Sein Name war Timotheos. Er unterrichtete mich seit meinem fünften Lebensjahr und er war es, der mir mein ⦠Refugium zeigte.«
»Dann bist du also Grieche?«
»Ja, ich stamme aus Athen. Mein Vater war ein reicher Tuchmacher. Er wollte, dass sein Sohn ein gebildeter Mann wird, und stellte Timotheos als meinen Hauslehrer an.«
Ines fragte sich, wann das wohl gewesen sein mochte.
»Und wann hast du Deutsch gelernt?«
»Das ist noch gar nicht lange her.« Vopelian strahlte Ines an. »Ein junger Mann brachte es mir bei â ein Besucher, der aus dem Nebel zu mir kam. Er hieà Benjamin und lebte eine Weile bei mir. Um uns die Zeit zu vertreiben, lernte ich von ihm Deutsch und er von mir Griechisch. Er war ein auÃergewöhnlich kluger Junge. Schade, dass er fortgehen musste.«
Das wird ja immer rätselhafter, dachte Ines.
»Kanntest du auch meine Oma Agnes?«
Vopelian dachte nach und schüttelte den Kopf.
»Nein, tut mir leid. Ihren Namen habe ich nie gehört. Auch dieses Zimmer ist mir neu. Es war immer im Nebel verborgen. Offenbar hat deine GroÃmutter es gut gehütet.«
Ines ging auf dem Schachbrett zum Gegenangriff über. »Ja, und ich frage mich bis heute warum. Was ist so gefährlich da drauÃen? â Ach ja, Schach!«
»Ein guter Zug«, lobte Vopelian. »Nun, es gibt eben nicht nur freundliche Nachbarn. Der Mensch ist oft gierig und trachtet nach dem Glück eines anderen. Mein Lehrer Timotheos riet mir deshalb, mich von anderen Refugien fernzuhalten. Aber wenn man stets allein ist, mag man diesen Ratschlag nicht immer befolgen â¦Â«
»Hast du denn gar keine Freunde?«, erkundigte sich Ines. »Also, auÃerhalb des Refugiums?«
Bei dieser Frage rutschte Vopelian unbehaglich auf dem Teppich hin und her.
»Wie meinst du das, Ines?«
Sie deutete zur Tür. »Na ja, auÃerhalb des Refugiums. In der echten Welt.«
Er senkte den Blick. »Du meinst dort drauÃen? Da bin ich lange nicht gewesen. Es gibt dort nichts, was mich hält.«
Ines war überrascht. »Du lebst nur in deinem Refugium? Du verlässt es nie?«
Er schüttelte zaghaft den Kopf und schwieg.
»Ich frage nur, weil meine Oma ⦠also, weil Agnes sagte, dass ich nicht länger als dreiundzwanzig Stunden hierbleiben soll.«
Vopelian lieà sich mit seiner Antwort Zeit.
»Es kommt der Tag, an dem man sich entscheiden
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