INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
in der Küche, der Mann mit der Kampfschwein-Maske, die verschwundene Denise und ihr Blut auf dem Boden. Dann der unheimliche Keller und dieser Gestank, die menschliche Hand in der Kühltruhe und nun das herzzerreißende Schreien des kleinen Sid. Was zur Hölle ging in diesem Haus nur vor sich? In was für eine Hölle bin ich hier hineingeraten?
Sie atmete tief durch und ermahnte sich zur Ruhe. Es würde niemandem helfen, wenn sie jetzt durchdrehte. Das Schreien des Kindes ließ nicht nach, ganz im Gegenteil. Als Sarah im Erdgeschoss angekommen war, bemerkte sie, dass es sich noch gesteigert hatte. Die Kerzenflamme warf schwaches Licht auf das Gemälde mit den zahlreichen Augenpaaren, von dem etwas Unheimliches und Bedrohliches ausging. Aber eigentlich galt das für das gesamte Haus. Sie hätte diesen Job gar nicht antreten sollen, dachte sie. Soweit abseits der vermeintlich sicheren Stadt. Spätestens die Begegnung mit dieser merkwürdigen Gestalt auf der Straße, hätte sie veranlassen müssen umzukehren. Für zwei junge Frauen wie Denise und sie war es keine gute Idee, nachts alleine irgendwo in der Pampa zu arbeiten. Das Schreien des kleinen Sid steigerte sich in ein Crescendo des Entsetzens. Was wurde dem Kind nur angetan? Sarah eilte durch den Flur, stets damit rechnend, dass sie aus einer dunklen Ecke heraus jemand angriff. Sie sah den Wahnsinnigen mit der Schweinemaske vor sich, wie er dem Kleinen mit einem Tranchiermesser die Haut aufschlitzte. Sarah erreichte den Treppenansatz, der in die erste Etage führte, als das Geschrei abebbte und in ein klägliches Wimmern überging.
Langsam schlich Sarah die Treppe hoch. Gleich würde sie dem leibhaftigen Grauen gegenüber stehen, das konnte sie spüren. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite und während der Irre sich dem Kind zuwandte, würde sie ihm entgegen stürzen und ihm ihr Messer in den Leib rammen. Sich an einem wehrlosen Kind zu vergehen, war das Abscheulichste was Sarah sich nur vorstellen konnte. Im ersten Stock angekommen, sah Sarah, dass der Flur sich nach links erstreckte. Der erste Raum auf der rechten Seite musste das Schlafzimmer von Sid sein. Plötzlich war es absolut still, Sarah konnte ihren eigenen pulsierenden Herzschlag hören. Sie trat vor die Tür aus Eichenholz und lauschte. Nichts war zu hören. Sämtlicher Mut schien Sarah auf einmal zu verlassen und sie musste aufpassen, dass ihre Knie nicht zu schlottern anfingen. Möglicherweise würde sich jemand auf sie stürzen, sobald sie die Tür öffnete. Aber sie musste das Risiko eingehen und nachsehen. Sarah drückte die Klinke herunter und schob langsam die Tür auf. Eine kleine Nachttischlampe mit einem weißen Schirm stand an der rückwärtigen Wand auf einer Kommode aus dunklem Holz und spendete ein gemütliches Licht. Sarah blickte panisch hinter die Tür. Da war niemand, der ihr auflauerte. Zu ihrer Linken befand sich ein großes weißes Himmelbett mit einem rechteckigen Baldachin, von dem hellblaue Leinentücher herabhingen. Nichts deutete daraufhin, dass außer Sid und Sarah noch jemand in diesem Raum war. Allerdings konnte Sarah nicht ausschließen, dass sich auf der anderen Seite des Bettes jemand versteckte. Sie ging zum Bett hinüber und strich vorsichtig ein Leinentuch zur Seite, um hineinzuschauen. Der kleine Sid lag von ihr abgewandt auf der Seite und seine unter der Bettdecke hervorschauenden, dunkelblonden Locken erinnerten Sarah an Engelshaare. Es wirkte so, als würde er friedlich und ungeachtet der fürchterlichen Geschehnisse in diesem romantischen Bett schlummern. Warum nur hatte er noch kürzlich so geschrien, als ob er unvorstellbare Qualen erleiden musste, fragte sich Sarah. Er sah aus, als würde er am Daumen nuckeln, wie es kleine Kinder gerne taten, aber genau konnte sie es nicht erkennen. Sie erwog das Zimmer wieder zu verlassen, immerhin schien alles in Ordnung zu sein. Vielleicht hatte das Kind einfach nur schlecht geträumt und ihre Phantasie war einmal mehr mit ihr durchgegangen und hatte Schreckensszenarien ersonnen, die gar nicht der Realität entsprachen. Plötzlich drehte sich Sid um und wandte Sarah sein Gesicht zu. Er nuckelte in der Tat an seinem linken Daumen. Sarah spürte, wie sich Fassungslosigkeit und pures Entsetzen in ihr breitmachten. Ihre Augen weiteten sich und ein Schrei drängte aus ihrer Kehle. Was sie da sah, war nicht das Gesicht eines kleinen Jungen. Es war das hässliche Gesicht eines erwachsenen Mannes, von pockennarbiger
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