INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
Haut entstellt – porös wie ein Schwamm – und mit kleinen, bösartig funkelnden Augen. Als Sid den Daumen aus dem Mund nahm, sah Sarah einen Speichelfaden, der von der Spitze des vor ihm ausgestreckten Fingers zu seiner Unterlippe verlief. Und als Sid sprach entblößte er kleine, gelbe und merkwürdig spitze Zähne.
„Willst du spielen?“, fragte Sid mit einer hohen Stimme und einem Lispeln.
Sarah schrie, als hätte sie den leibhaftigen Teufel gesehen und irgendwie, war es ja auch so.
14
San Francisco, Kalifornien
Xian Nguyen, ein schlaksiger unscheinbarer Chinese Mitte 20, der seit seiner Kindheit in den USA lebte, betrat sein spartanisch eingerichtetes Zwei-Zimmer-Appartement, legte seine Aktentasche auf eine Kommode und zog sich seine dunkelblaue Nylonjacke aus, um sie auf einem Kleiderhaken aufzuhängen. Anschließend ging er zum Kühlschrank in seiner winzigen Küche und entnahm diesem eine Flasche Bier, bevor er sich auf seiner cremefarbenen Couch im Wohnzimmer niederließ. Er schnappte sich einen Flaschenöffner, der auf einem Beistelltisch aus Glas lag, und öffnete sein Bier. Genüsslich trank er einen Schluck. Eigentlich hatte er auch Hunger, aber das musste warten, denn Xian hatte es eilig. Ausgerechnet heute hatte sein Chef in der Computerspiele-Firma in Sillicon Valley, in der Xian als Game-Developer arbeitete, alle Beteiligten, die an der Entwicklung eines neuen Action-Adventure Spiels arbeiteten, nach Feierabend noch zu einem Meeting gebeten. Xian nahm seinen Laptop, der ebenfalls auf dem Glastisch stand, und stellte ihn sich auf den Schoß. Nachdem dieser hochgefahren fahr, lud Xian eine Seite namens „RealHorror.com“. Wie erwartet, hatte das große Ereignis, dem er seit nunmehr etwa zwei Wochen entgegen fieberte, bereits begonnen. Xian war durch einen Bekannten, der wie er Mitglied in einem Horror-Forum war, in dem man sich über neueste Filme und Literatur dieses Genres austauschte, auf diese Webseite aufmerksam gemacht worden. Zunächst hatte Xian gar nicht gewusst, was diese relativ schlicht gestaltete Seite eigentlich war, oder was sie anbot. Die blutrote Schrift auf schwarzem Hintergrund wirkte nicht gerade spektakulär und ließ nicht erahnen, dass sich etwas Besonderes dahinter verbarg. Neben einigen Menüpunkten befand sich ein Webcam-Fenster auf der Homepage. Nachdem Xian die Übertragung der Webcam erstmals gestartet hatte, wuchs seine Verwirrung noch weiter an. Es war eine karge Zelle zu sehen gewesen, in der ein erwachsener Mann auf einer Pritsche lag und an die Decke starrte, während er an seinem Daumen nuckelte. Das von langen blonden Locken umrahmte Gesicht des Mannes war von Akne oder irgendeiner anderen Hautkrankheit gezeichnet. Der Typ machte einen ziemlich unheimlichen Eindruck und dieses kindliche Nuckeln stellte einen krassen Gegensatz zu seiner äußeren Erscheinung dar. Nachdem in der Zelle nichts weiter geschehen war, hatte sich Xian die Unterseiten der Homepage genauer angesehen. Auf einer davon war eine Biographie des Kerls, der auf der Pritsche lag, zu sehen. Xian erfuhr, dass der Mann angeblich Sid hieß, 1,85 Meter groß und 86 Kilogramm schwer war. Des Weiteren wurde Sid als unheilbarer Soziopath mit einer Vorliebe für Kinderlieder und -reime sowie Menschenfleisch beschrieben. Ein aufdringlich blinkender Banner unten auf der Seite, warf die Frage in den Raum, was passieren würde, wenn Sid mit unschuldigen Menschen zusammenkam und versprach, dass man es bald herausfinden könnte. Xians Neugier war geweckt, allerdings überwog seine Skepsis. Er dachte an eine clevere Inszenierung mit einem Schauspieler, der dieses angebliche Monstrum darstellte. Ein kurzer Blick in das Forum und in den Chat der Homepage verriet Xian, dass die Seite offenbar recht gut frequentiert war. Es bestand die Möglichkeit, sich über einen Signalton benachrichtigen zu lassen, sobald in der Zelle irgendetwas passierte. Xian ließ die Seite geöffnet, während er ein paar Computerspiele zockte und sich auf Onlinepoker-Seiten und Porno-Websites vergnügte. Zwischendurch erklang immer wieder der Signalton und Xian konnte Sid bei allerlei banalen Tätigkeiten beobachten. Sid beim Pinkeln in eine mobile Toilette in der Ecke der Zelle, Sid beim hin und her laufen in dem kleinen Raum und Sid beim Singen eines Kinderliedes. Als Xian hörte, wie dieser Kerl mit hoher Piepsstimme „Du bist mein Herzilein, Zuckerpfläumchen Pumpy-umpy-umpkin. Du bist mein Schatzilein und mein
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