INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
abgeschlossenes Informatikstudium in der Tasche -, um ein paar Nachforschungen über diese Webseite anzustellen. Er fand unter anderem heraus, dass die Server der Seite in verschiedenen osteuropäischen Ländern sowie in unterschiedlichen Teilen der USA standen. Mit anderen Worten, es stand ein elektronisch ausgeklügeltes System hinter der Seite, dass es schwer bis unmöglich machte, den wahren Aufenthaltsort der Betreiber zu ermitteln. Das bestätigte Xians Vermutung, dass es sich bei der Webseite um ein illegales Projekt handeln musste. Gleichzeitig steigerte das seine Faszination nochmal beträchtlich. Er war auf eine Art Horror-Snuff-Seite gelangt, die es definitiv verstand ihre Kundschaft zu fesseln. In den letzten Tagen waren immer wieder Mitteilungen auf der Homepage erschienen, die ankündigten, dass Sid in Kürze auf zwei ahnungslose junge Frauen treffen würde. Heute war es nun soweit und ausgerechnet heute hatte Xian länger arbeiten müssen. Egal, dachte er, er würde später die Möglichkeit haben sich alle Geschehnisse des Tages in Ruhe anzuschauen. Zwar nicht mehr live, aber immerhin in voller Länge. Ein Blick in die Highlight-Rubrik verriet ihm, dass er einiges verpasst hatte. Unter anderem wurde sogar eine Sexszene beworben. Xian tastete in der linken Hosentasche seiner Jeans nach seinem Portemonnaie und er zog es heraus. Zwar war bislang alles kostenlos auf der Webseite zu sehen gewesen, aber heute würde er bezahlen müssen, um zuzuschauen. Er klickte die Live-Übertragung an und eine Maske erschien, in die er seine Kreditkartendaten eingeben musste. Er holte seine Master Card aus dem Portemonnaie heraus und gab die Daten ein. 99 US-Dollar kostete ihn dieser Spaß, aber das war er definitiv wert. Nach der erfolgreich bestätigten Zahlung, wurde die Übertragung freigeschaltet. Xian bekam einen Adrenalin-Kick, als er eine junge Frau mit einer Kerze in der einen und einem Messer in der anderen Hand vor einem Himmelbett stehen sah. Darin lag Sid. Die Frau schrie wie verrückt, während Sid die Decke beiseite riss und torkelnd aufstand. Eine blinkende Maske erschien am unteren Rand der Webseite. Unter der Überschrift „Sid vs. Sarah“ wurde man aufgefordert zu wetten, wie lange es dauern würde, bis Sid den ersten Happen von Sarah verspeiste. Man konnte allerdings auch darauf wetten, dass Sarah Sid kaltmachte. Es standen mehrere Zeitintervalle zur Auswahl. Waagerechte Balken zeigten an, wie oft auf ein bestimmtes Intervall bisher gewettet worden war. Die meisten Zuschauer tippten darauf, dass Sarah innerhalb von fünf bis zehn Minuten als Gourmet-Mahlzeit enden würde. Xian überlegte nicht lange – seine Kreditkarte hatte er ja noch in der Hand -, er wettete 50 Dollar und gab Sarah zehn bis fünfzehn Minuten.
15
Das Entsetzen traf Sarah mit der Wucht einer Steinlawine, als Sid sich aufrichtete und die Bettdecke beiseite riss. Voller Panik stieß sie einen Schrei nach dem anderen aus. Sie stolperte rückwärts und ließ dabei die Kerze fallen. Merkwürdigerweise sorgte sie sich für den Bruchteil einer Sekunde darum, dass dieses Haus des Grauens in Brand geraten könnte, doch die Flamme der Kerze war längst erloschen. Sid kam auf sie zu getorkelt, als wäre er noch etwas verschlafen. Er starrte sie aus seinen kleinen, fiesen Schweinsäuglein an und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die eventuell ein Lächeln darstellen sollte. Sarah stürzte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Die Gedanken wirbelten mit der Intensität eines Tornados durch ihren Kopf. Die Panik, die von ihr Besitz ergriffen hatte, verhinderte jedoch jegliches rationale Denken. Instinktiv preschte Sarah die Treppe hinunter. Sie musste raus hier, weit weg von diesem schrecklichen Haus. Sarah konnte sich die furchtbaren Ereignisse des Abends nicht erklären und jetzt gerade wollte sie es nicht einmal mehr. Sie wollte nur diesem Albtraum so schnell wie möglich entrinnen. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie an Denise und ihr schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort. Sie schob den Gedanken jedoch beiseite. Sie hatte getan, was sie konnte und wahrlich genug Courage und Mut bewiesen. Denise war vermutlich längst tot und falls nicht, konnte sie gerade nichts für sie tun. Ihre eigene Todesangst verdrängte den Schmerz, den sie bei dem Gedanken empfand, Denise nie wieder zu sehen. Falls sie doch noch lebte, war es die Aufgabe der Polizei sie hier rauszuholen. Sarah hörte, wie im Obergeschoss eine
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