Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
Vom Netzwerk:
dass sein Cousin – ein Mitglied einer Gang in South Boston, der Schwarze hasste – Leukämie bekommen hatte. Um die Genesung seines Cousins voranzutreiben, hatte er sich wahllos einen vierzehnjährigen schwarzen Jungen in Roxbury ausgesucht und vier Kugeln auf seine Brust abgefeuert. »Ich hab einfach nur getan, was mein Cousin tun würde, damit er eben wieder gesund wird«, hatte mir der junge Mann erklärt.
    Wirklich sonderbare Gleichungen. Und nichts in dieser Hinsicht kann mich noch überraschen – ganz sicher nicht nach dem, was ich noch über die Bishops herausfinden sollte.
    Anderson und ich trafen kurz nach 14 Uhr im Brant Point Racket Club ein, wo genügend Betrieb herrschte, sodass wir nicht sonderlich auffielen, als wir nach Garrets Spind suchten.
    Als North den Schlüssel ins Schloss steckte, bekam ich plötzlich Angst. »Einen Augenblick«, bat ich.
    Anderson hielt inne und sah mich an. »Was ist los?«
    »Wir machen hier einfach bedenkenlos, was Garret will. Besteht irgendeine Chance, dass dieses Ding hochgehen könnte?«
    Anderson sah mich zweifelnd an. »Du meinst, da drin könnte Sprengstoff oder so etwas sein?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ich vermute, diese Chance besteht.« Er drehte den Schlüssel herum und zog die Tür einen Spaltbreit auf. »Ich glaube allerdings, dass es eine sehr geringe Chance ist.« Er grinste. »Du verbringst zu viel Zeit mit Paranoiden. Du musst dringend auf Urlaub, wenn diese Sache hier vorbei ist.«
    »Klar«, gab ich zurück, obwohl ich nicht glaubte, dass die Symptome meiner Patienten im Mass General auf mich abfärbten. Viel wahrscheinlicher war, dass die Ursache in meinem Gefühl lag, von Julia betrogen worden zu sein, und meiner Sorge darüber, welche Bomben
sie
noch hochgehen lassen könnte.
    Garrets Spind war ein Fenster zu seiner Seele. Ein einzelner Schläger stand schräg eingeklemmt zwischen zwei Wänden des unteren Fachs, ansonsten war nichts von dem typischen Zubehör der Tennis-Fanatiker zu sehen – kein Lederhandschuh, keine Sportbandage, keine Schweißbänder, keine Bolle-Brille, nicht einmal ein Paar Tennisschuhe. Die Rückwand des unteren Fachs war mit sehr kunstvollen Schwarzweißfotos von Nantucket beklebt – Bilder vom Hafen, den Commons, von Dünen und vom Strand.
    »Der Junge kann wirklich mit der Kamera umgehen, wenn das seine Fotos sind«, bemerkte Anderson bewundernd.
    »Sie sind wunderschön«, pflichtete ich bei. Ich betrachtete die Bilder noch eine Weile länger, dann wanderte mein Blick zum oberen Fach des Spinds und dem guten Dutzend alter Bücher, die sich dort stapelten – Werke von Kafka, J.D. Salinger und Steinbeck.
    Anderson zog eine Papiertüte hervor und streifte sie sich wie einen Handschuh über. Eine Plastiktüte könnte an dem Tablettenfläschchen kleben bleiben und Fingerabdrücke verwischen. Er betrachtete die Bücher. »Garret liebt Klassiker«, bemerkte er.
    »Es gibt schlimmere Zerstreuungen als Fotografie und Literatur«, sagte ich, wobei ich an meine eigenen dachte.
    Anderson griff an den Büchern vorbei in die hintere rechte Ecke des Fachs, wo laut Garret das Nortriptylin-Fläschchen in einer Tennisball-Dose versteckt sein sollte.
    Schlagartig wurde mir klar, dass wir an der Schwelle der Entdeckung von Beweismaterial stehen könnten, das helfen würde, Billy zu entlasten. Die Erregung angesichts dieser Möglichkeit betäubte die Schmerzen in meinem Rücken, zumindest für den Moment. Vielleicht war es meine eigene sonderbare Gleichung, doch ich empfand es so, als erhielte ich die Chance, eine Schuld abzutragen, die ich seit Jahren mit mir herumschleppte – eine Schuld gegenüber Billy Fisk und dem Kosmos und, letztendlich, mir selbst, weil ich diesen netten jungen Mann durch Selbstmord verloren hatte. Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass auch noch eine andere Schuld beglichen werden würde. Sollte Win Bishop schließlich als der Mörder entlarvt werden, würde ich in einem tiefen Winkel meiner Seele die Befriedigung haben, dass ich meinem Vater zurückgezahlt hatte, was ich ihm schuldete: Prozess, Verurteilung und Bestrafung dafür, dass er mir meine Kindheit gestohlen hatte.
    »Ich hab sie«, verkündete Anderson und zog die Tennisball-Dose aus dem Fach. Mit Hilfe eines Taschentuchs öffnete er den Deckel, dann ließ er das Nortriptylin-Tablettenfläschchen – eines dieser typischen orangebraunen Plastikdinger – in seine noch immer in der Papiertüte steckende Hand fallen und kehrte die Tüte von

Weitere Kostenlose Bücher