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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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Parade von Kopierläden, Boutiquen, Lebensmittelhändlern und Elektronikgeschäften an mir vorbeisauste, kehrten meine Gedanken unwillkürlich zu Tess Bishop, Brookes überlebender Zwillingsschwester, zurück. Denn ich war bestenfalls halb von Billys Schuld überzeugt. Und damit standen die Chancen fünfzig-fünfzig, dass der Mörder noch immer frei auf dem Bishop-Anwesen herumlief.
    Ich fragte mich, ob ich wohl das Sozialamt von Nantucket bewegen könnte, die Vormundschaft für das Kind zu übernehmen, bis die Ermittlungen in dem Mordfall weiter fortgeschritten waren. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass das Sozialamt eingriff, war angesichts der Fixierung des Bezirksstaatsanwalts auf Billy gering.
    Möglicherweise könnte es funktionieren, indem ich Julia Bishop unumwunden bat, ihre Tochter in einer sicheren Umgebung unterzubringen. Ich wusste, dass ein gewisses Risiko damit verbunden war, denn wenn sie ihrem Mann von meinem Verdacht erzählte, würde er mir – und North Anderson – sehr wahrscheinlich die Tür vor der Nase zuschlagen.
    Ich wog noch immer die Möglichkeit eines offenen Gesprächs mit Julia ab, als der Taxifahrer über seine Schulter schaute. »Sie leben hier?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich lebe außerhalb von Boston.«
    »Was führt Sie her?«
    »Ich bin Psychiater«, erklärte ich. »Ich habe hier einen Patienten.«
    Er musterte mich einen Moment lang angestrengt im Rückspiegel, dann wandte er seinen Blick wieder der Straße zu. »Die holen Sie extra aus Boston«, sagte er. »Sie müssen gut sein.«
    »Ich bin schon eine Weile in diesem Geschäft«, erwiderte ich.
    Er nickte versonnen. Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Sie behandeln Schizophrene? Sie hatten schizophrene Patienten?«
    »Viele.«
    Er nickte abermals, sagte jedoch nichts.
    »Warum fragen Sie?«, sagte ich.
    »Ich habe eine Tochter«, antwortete er. »Sechsundzwanzig Jahre alt.«
    »Und sie leidet an der Krankheit?«
    »Seit siebzehn«, sagte er. Er bog scharf in die zweiundfünfzigste Straße ein. »Mein einziges Kind.«
    Ich schwieg. Wie gewöhnlich verspürte ich diesen leisen Widerwillen, bevor ich mich einer weiteren Lebensgeschichte öffnete – so als könnte sich meine eigene endgültig aus ihrem Einband lösen und sich unter den Tausenden von zusammenhanglosen Kapiteln verlieren, die in meinem Innern umhertrieben. Ich schaute wieder aus dem Fenster.
    »Ihr Name ist Dorothy«, sagte Puzick. »Sie ist in Polen, mit ihrer Mutter. Warschau.«
    Jetzt hatte die Lebensgeschichte einen Namen und eine Heimatstadt, ebenso wie eine Mutter und einen Vater. Und diese mageren Fakten genügten, meinen Widerwillen, mehr zu hören, verfliegen zu lassen. Wenn ich ein Stein wäre, dann wäre ich ein Bimsstein – außen rau, aber mit einem weichen Kern. »Wie kommt es, dass die beiden dort sind und Sie hier?«, fragte ich.
    »Ich habe sie verlassen«, erklärte er schlicht. »Blöde Kuh!« Er machte einen Schlenker, um einer Frau auszuweichen, die vom Bürgersteig auf die Straße trat. »Ich habe sie verlassen«, wiederholte er.
    »Warum?«
    »Ich habe mich in eine Amerikanerin verliebt. Ich wollte nicht mehr verheiratet sein.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin weggegangen. Dorothy war neun Jahre alt.« Unvermittelt fuhr er an den Bürgersteig und hielt an. »River House.«
    Ich öffnete die Tür, stieg aber nicht aus. »Neun Jahre alt«, sagte ich.
    Er runzelte die Stirn. »Gehen Sie. Sehen Sie sich an, was Sie sich ansehen wollen. Ich warte hier auf Sie.«
    Widerstrebend stieg ich aus und trat auf den Bürgersteig, der von schwarzen Limousinen und ihren Chauffeuren gesäumt war. Ich spähte durch das offene Tor des River House, dessen gigantischer schmiedeeiserner Rahmen in Kalksteinsäulen verankert war, die das Wort »Privat« trugen und von steinernen Adlern gekrönt wurden, die einander mit seitwärts gewandten Köpfen anstarrten. Jenseits der Adler trennte eine kopfsteingepflasterte Auffahrt den Vorgarten mit seinen Blumenbeeten vom Eingang des Gebäudes, der von zwei Portiers flankiert wurde, die unter einer riesigen waldgrünen Markise standen.
    Die Szene zeugte von Zeitlosigkeit, Sicherheit und elitärer Ruhe.
    Ich schaute an dem Gebäude hinauf, das sich über einen gesamten Straßenblock erstreckte. Es war etwa fünfzehn Stockwerke hoch, die untersten drei aus Kalkstein und der Rest aus Backstein, an dem hier und dort Efeu rankte. Das Eck-Penthouse, das Darwin Bishop und seine Familie ihr Eigen nannten, bestand aus einer

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