Infam
abgewiesen wurden.«
»Das stellt Sir Bishop in einem ganz neuen Licht dar«, bemerkte er. »Was ist mit Billy? Was hast du aus ihm herausbekommen?«
»Er sagt, er sei unschuldig.«
»Und was glaubst du?«
»Ich bin nicht sicher, was ich glauben soll. Billy sagt, sein Vater hätte ihn geschlagen, und zwar ziemlich heftig. Sein ganzer Rücken ist mit Striemen überzogen, die das beweisen. Außerdem scheint er überzeugt zu sein, dass es sein Vater war, der das Baby getötet hat. Er hat sogar ein Motiv genannt: Laut seiner Aussage wollte Bishop die Zwillinge nicht. Er hat Julia gedrängt, abtreiben zu lassen. Hat deswegen gewütet und gewettert, nächtelang. Aber sie hat nicht nachgegeben.«
»Und Bishop ist daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen«, bemerkte Anderson.
»Und wahrscheinlich mit allen Mitteln«, pflichtete ich bei. Ich holte tief Luft. »Aber eines dürfen wir nicht vergessen: Billy ist kein Unschuldslamm. Er ist ein Soziopath, ob er Brooke nun ermordet hat oder nicht. Er könnte lügen, was die Einstellung seines Vaters gegenüber den Zwillingen angeht. Er könnte sich sogar die Verletzungen, die er mir gezeigt hat, selbst zugefügt haben.«
»Dieser Fall wird immer verworrener«, sagte Anderson. »Außerdem gibt es noch eine unerwartete Wendung.«
»Und die wäre?«
»Mein Freund Sal Ferraro, ein Privatdetektiv aus Brooklyn, hat ein bisschen für mich herumgeschnüffelt. Es hat sich herausgestellt, dass Claire Buckleys Pflichten offenbar weit über die eines traditionellen Kindermädchens hinausgehen. Sie und Darwin sind zusammen in San Francisco, Chicago, Palm Beach, London und Buenos Aires gewesen. Alles in diesem Jahr. Kein anderes Familienmitglied hatte für die betreffenden Daten Reservierungen bei einer der großen Fluggesellschaften.«
»Sie könnte ja so etwas wie eine Sekretärin sein«, sagte ich, obwohl ich es selbst nicht ernsthaft glaubte.
»Laut Sal haben sie in jedem der Hotels, in denen Bishop abgestiegen ist, nur jeweils ein Zimmer gebucht«, erklärte Anderson. »Es wurde jede Menge Essen für zwei über den Zimmerservice bestellt. Außerdem standen jedes Mal reichlich Wein und Champagner auf der Rechnung.«
»Der Mann hat eben seine Bedürfnisse«, bemerkte ich.
»Na ja, wenn ich Darwin Bishop wäre«, fuhr Anderson fort, »und die Absicht hätte, mich mit meinem Kindermädchen zusammenzutun und sie vielleicht sogar zu Mrs. Bishop Nummer drei zu machen, dann ginge es mir vielleicht mächtig gegen den Strich, dass meine gegenwärtige Gattin mir Zwillinge aufhalst. Ich könnte das als eine offene Bedrohung meiner Zukunft betrachten.«
Ich zuckte innerlich zusammen und fragte mich, ob Andersons eigene widersprüchliche Gefühle gegenüber seinem ungeborenen Kind vielleicht seinen Blick trübten. Trotzdem stimmte ich seiner Theorie zu, weil sie mir logisch erschien. Meiner Ansicht nach lief Darwin Bishop Billy langsam, aber sicher den Rang als Hauptverdächtiger für den Mord an Brooke Bishop ab. »Bishop ist ein Mann, der sich selbst erschaffen hat«, sagte ich. »Er ist Jay Gatsby. Er steigt aus der Armut auf, legt seine Brooklyner Wurzeln und seinen Akzent ab und richtet sich in der Upper East Side und auf Nantucket häuslich ein. Er ist auf dem Gipfel der Welt. Es würde ihm sicher nicht gefallen, wenn irgendjemand ihm sagen würde, dass er seine Pläne nicht verwirklichen kann. Genauer gesagt, aus seiner Sicht könnten Leute, die sich ihm in den Weg stellen, im wahrsten Sinne des Wortes versuchen, ihm das Leben zu nehmen, sein Bild von sich selbst zu töten. Das würde ihm die psychologische Rechtfertigung zur Selbstverteidigung geben – wenn nötig mit extremsten Mitteln.« Ich hielt einen Augenblick inne. »Was können wir tun, um das andere Baby zu schützen?«
»Ich glaube nicht, dass wir viel tun können«, antwortete Anderson. »Die Staatsanwaltschaft hat beschlossen, Billy unter Mordanklage zu stellen. Tom Harrigan ist heute vor Gericht, um sich einen Haftbefehl zu besorgen und Billy zurück nach Massachusetts zu holen. New York scheint zu kooperieren. Zu behaupten, dass ein anderes Familienmitglied eine Bedrohung für Tess Bishop darstellt, würde nicht gut ankommen.«
»Selbst wenn es der Wahrheit entspricht«, bemerkte ich.
»Ich wünschte, es würde immer nur darum gehen, Frank«, erwiderte er. »Herzlich willkommen in meiner Welt.«
6
Ich landete auf dem Flughafen Logan und war gegen 21 Uhr 30 wieder in meinem Loft. Als ich meinen Anrufbeantworter
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