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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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Wahrheit umbringen willst –, also nimmst du dir Dinge vor, die sich nicht wehren können. Kätzchen, Babys, alles echt mutig.« Ich stand auf. »Ich habe genug gehört.« Ich ging zur Tür und öffnete sie.
    »Sie wissen nicht das Geringste über mich«, stieß er zornig hervor. »Oder über meinen Vater.«
    »Lass ihn erzählen, was genau du nicht weißt«,
sagte die Stimme in meinem Hinterkopf.
    Ich bekam eine Gänsehaut. Die kahle Haut meines Schädels begann zu prickeln. Billy stand anscheinend an der Schwelle, mich an seinem Leid teilhaben zu lassen. Und ich habe mich Gott nie näher gefühlt als auf der Reise in ein verletztes Herz. Ich schloss die Zimmertür und drehte mich langsam zu ihm um.
    »Ich werde Ihnen ein kleines Geheimnis verraten«, erklärte Billy tonlos. Er zog sein T-Shirt aus, warf es auf die Matratze und baute sich vor dem Bett auf. Die strammen Muskeln seines Brustkorbs und seines Bauchs zuckten.
    Ich fragte mich, ob er mich köderte, während er seinen Mut zusammennahm, sich auf mich zu stürzen. Ich verlagerte mein Gewicht auf meine linke Seite, um meinen rechten Fuß zu entlasten, für den Fall, dass ich den geplanten Tritt doch noch ausführen musste. Doch Billy drehte sich nur um. Und das genügte, um mich beinahe ins Taumeln geraten zu lassen. Denn ich sah, dass sein Rücken von den Schulterblättern bis zur Taille mit Striemen überzogen war, als wäre er brutal mit einem Riemen ausgepeitscht worden. Einige der Striemen waren wund und offen, andere hingegen zu wulstigen Narben verheilt.
    »Wenn Sie herausfinden wollen, was mit der kleinen Brooke passiert ist«, sagte Billy, »dann sollten Sie vielleicht herausfinden, warum dem guten alten Win einer dabei abgeht, mir das hier anzutun.«
    In meinem Kopf drehte sich alles. Ich versuchte, mir Darwin Bishop mit einem Riemen in der Hand vorzustellen, während Billy in einer Ecke der Familienvilla auf Nantucket kauerte, doch vor meinem geistigen Auge erschien mein Vater in dem Mietshaus, das wir unser Heim nannten. Sein Gürtel war schwarz, fünf Zentimeter breit, einen Meter lang, mit einer quadratischen Silberschnalle. Er trug ihn jeden Tag, ob er betrunken war oder nicht, sodass ich immer einen Anflug von Entsetzen empfand, selbst wenn er nüchtern und freundlich war, mich in seine Arme nahm und mir sagte, wie sehr er mich liebte. Während ich hier in Billys Zimmer stand, konnte ich sogar den Gestank von Alkohol riechen, der ihm aus jeder Pore drang. Schlagartig wallte die Mischung aus Ekel und Angst in mir auf, mit der ich gelebt hatte, bis ich alt genug gewesen war, um jenes Haus und ihn hinter mir zu lassen.
    »Dein Vater hat das getan?«, fragte ich Billy sanft.
    Er antwortete nicht, doch seine vernarbten Schultern sackten unter der Last seiner Offenbarung zusammen.
    Ich trat dichter an ihn heran und streckte meine Hand aus, sodass sie beinahe seinen Rücken berührte. Nach einem Augenblick ließ ich sie wieder sinken. »Wann?«, fragte ich.
    Er drehte sich um, und das künstliche Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. »Wann immer ihm danach ist«, antwortete er. »Als ich in dieses Land kam, habe ich versucht, nett zu sein, weil ich Angst hatte, ich würde sonst zurück ins Waisenhaus geschickt werden, aber es schien ihm Freude zu machen, mich trotzdem zu bestrafen, besonders wenn er was getrunken hatte, also hab ich gedacht: Warum soll ich versuchen, mich bei ihm anzubiedern? Warum soll ich mich einen Dreck scheren – um irgendjemanden?« Er zuckte mit den Schultern. »Dann ist etwas Seltsames passiert.«
    »Und was war das?«, fragte ich.
    »Es hat aufgehört, wehzutun«, erklärte er schlicht. »Er konnte mich so unerbittlich prügeln, wie er wollte, aber es hat mir nichts ausgemacht.«
    »Und dann hast du angefangen, dich selbst zu verletzen? Dich zu beißen?«
    Er drehte seinen Arm herum und offenbarte weitere halbmondförmige Narben auf der Innenseite seiner Unterarme. »Eine Zeit lang hat es sich gut angefühlt«, sagte er.
    »Es hat sich gut angefühlt?«
    »Na ja, ich konnte es
fühlen
. Und das war gut. Verstehen Sie?«
    Ich verstand nur zu gut. »Die Katzen? Das Haus?«, gab ich ihm als Stichwort. »Erzähl mir von ihnen.«
    Er setzte sich auf die Bettkante und wandte den Blick ab. »Ich weiß nicht, warum ich die Sachen gemacht hab«, sagte er. »Vielleicht war es das, was Sie vorhin gesagt haben. Dass ich einem anderen Wesen wehtun wollte oder etwas zerstören wollte, weil ich mich selbst zerstört gefühlt habe.

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