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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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auch mit spontaner Ablehnung auf mich reagiert. Weil ich eine Frau bin.«
    Der Gedanke, Julia könnte möglicherweise einen Groll gegen weibliche Wesen hegen, beunruhigte mich. Schließlich hatte sie zwei Mädchen zur Welt gebracht. »Glauben Sie, sie stellt eine Gefahr für das Baby dar?«, fragte ich. »Halten Sie die Sitzwache für nötig?«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, was das nützen soll«, antwortete sie. »Ich meine, wenn das Kind in ein paar Tagen sowieso wieder mit ihr nach Hause zurückkehrt, welchen Sinn hat dann eine Sitzwache hier?« Sie verdrehte die Augen. »Am Ende nutzt sie wahrscheinlich noch die Gelegenheit, um kurz zu Gucci zu gehen und sich ein Paar Schuhe zu kaufen und ihre Garderobe aufzustocken.«
    Diese Bemerkung bestärkte meinen Verdacht, dass Eifersucht oder Abneigung Hallisseys Ansicht über Julia beeinflusste. Ich nickte und entspannte mich, wenn auch nur ein wenig. Ich konnte es mir nicht leisten, ihre Theorie gänzlich abzutun. »Reden Sie noch mal mit Mrs. Bishop?«, fragte ich.
    »Dr. Karlstein hat mich gebeten, morgen noch einmal vorbeizuschauen«, erklärte sie.
    »Würden Sie mich anpiepen, falls Sie noch etwas Interessantes herausfinden?«, fragte ich.
    »Das werde ich«, versprach sie.
    »Und herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Tochter«, sagte ich. »Wollen wir hoffen, dass sie später nicht Model wird.«
    Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Hallisseys Gesicht aus. »Auf gar keinen Fall«, erwiderte sie. »Ich kann Ihnen versprechen, dass das ganz sicher nicht passieren wird.«
    Es war 7 Uhr 20, als ich mich in meinen Pick-up hievte und nach Hause fuhr, um ein paar Sachen für meine Reise nach Nantucket einzupacken. Der Tag war sonnig, und es kündigte sich bereits die brütende Hitze an, die Boston Ende Juni üblicherweise schwitzen lässt. Ich nahm die Kurven des Storrow Drive mit Vorsicht, wich nach Möglichkeit den Schlaglöchern aus und erklomm die Treppe zu meinem Haus sehr langsam, wobei ich auf jedem Absatz eine Pause einlegte, um Mut für den weiteren Aufstieg zu schöpfen.
    Ich hatte fast den vierten Stock erreicht, als unvermittelt einige Momentaufnahmen meines Erlebnisses in der dunklen Gasse vor meinem geistigen Auge aufflammten. Ich erinnerte mich daran, wie ich angerempelt worden war, einen stechenden Schmerz gespürt hatte, dann mein Gleichgewicht verloren hatte und vornübergefallen war. Ich schloss die Augen und stand reglos auf der Treppe, während ich mich bemühte, meinem Unterbewusstsein weitere Einzelheiten des Überfalls zu entlocken, doch es wollte nichts kommen.
    In meiner Wohnung nahm ich eine frische Jeans und ein schwarzes T-Shirt aus dem Schrank und wollte sie gerade anziehen, als ich bemerkte, dass der Verband um meinen Bauch blutig war. Ich ging ins Badezimmer und wickelte den Verbandsmull ab.
    Colin Bain hatte wirklich Schwerstarbeit an mir geleistet. Die Oberfläche der Wunde war eher ein schartiger Riss denn ein simpler Einstich, so als hätte mein Angreifer das Messer mit einem Ruck hochgezogen, um mich von hinten auszuweiden. Bains Werk war beeindruckend – winzige Stiche, das Markenzeichen eines chirurgischen Könners, zogen sich in einer gezackten Linie knapp unterhalb meiner Rippen entlang. Ich trat ans Waschbecken, wusch die Wunde mit kaltem Wasser ab und tupfte sie trocken. Dann legte ich mir mit einer Mullbinde, die Bain mir zusammen mit Probepackungen Motrin, meinem Rezept für Keflex und meiner Brieftasche in einer Art Notaufnahme-Wundertüte zusammengepackt hatte, einen neuen Verband an. Ich schluckte drei weitere Motrin, steckte meine Brieftasche ein und zog mich an.
    Meine Chancen, es bei vollem Bewusstsein nach Hyannis oder Wood’s Cove zu schaffen, dann das Glück zu haben, einen Platz auf der Fähre für mich zu ergattern (von einem für meinen Pick-up ganz zu schweigen), waren verschwindend gering, deshalb fuhr ich zum Flughafen Logan und wartete dort auf den Cape-Air-Flug um 10 Uhr 15. Ich versuchte, North Anderson auf seinem Handy zu erreichen, doch es meldete sich nur sein Anrufbeantworter. Ich hinterließ ihm eine Nachricht, ich würde um elf Uhr landen, und hoffte, dass er mich am Nantucket-Memorial-Flughafen abholte.

14
    Anderson erwartete mich in der Ankunftshalle. Während der letzten Viertelstunde des Flugs hatten wir mit einigen Turbulenzen zu kämpfen gehabt, und ich ging leicht vornübergebeugt, um die Muskeln meiner rechten Seite nicht zu beanspruchen. »Du siehst ja toll aus«, bemerkte er mit einem

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