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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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»Sie sehen aus, als hätten Sie Schmerzen«, bemerkte sie.
    »Ich hatte ein kleines Problem in Boston«, erwiderte ich. »Jemand hat mich überfallen.«
    Sie blieb stehen und sah mich mit augenscheinlich aufrichtiger Besorgnis an. »Ist Ihnen etwas passiert?«, erkundigte sie sich.
    »Nicht der Rede wert.« Ich lächelte. »Nur ein paar gezerrte Muskeln.« Und ein paar aufgeschlitzte.
    »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
    »Danke, nein.«
    Sie bedeutete Anderson und mir, auf der Couch Platz zu nehmen, während sie sich in einen geblümten Ohrensessel uns gegenüber setzte. »Womit kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und spielte mit dem Brillantring an ihrem kleinen Finger. Als sie bemerkte, dass ich ihre nervösen Hände musterte, zwang sie sich, sie ruhig in ihren Schoß zu legen.
    Anderson gab mir ein Zeichen, die Führung zu übernehmen.
    Da ich keine genaue Vorstellung hatte, wonach ich suchte, fing ich mit einer allgemeinen Frage an. »Claire, bei unserer letzten Unterhaltung habe ich Sie nicht direkt gefragt, ob Sie in der Nacht von Brookes Ermordung etwas gesehen haben – etwas, das den Ermittlungen vielleicht weiterhelfen könnte. Jetzt, wo Tess im Krankenhaus ist, muss ich Ihnen diese Frage in Bezug auf beide Zwillinge stellen.«
    »Was für Dinge meinen Sie genau?«, fragte sie.
    »Alles, was Ihnen merkwürdig vorgekommen ist«, mischte Anderson sich ein. »Etwas, das Ihnen aufgefallen ist. Vielleicht haben Sie eine Tube Dichtungsmasse oder ein Tablettenfläschchen mit Nortriptylin gesehen oder eines der Babys weinen gehört.«
    »Wenn ich etwas Derartiges gesehen hätte«, konterte sie, »dann hätte ich es Ihnen bereits gesagt.« Sie hielt kurz inne. »Und die Polizei hat die Durchsuchung des Hauses abgeschlossen, stimmt’s?«
    »S
ie hat nichts Derartiges gesehen
«, meldete sich die Stimme in meinem Hinterkopf.
    »Claire, haben Sie
irgendetwas
gesehen oder gehört, von dem wir wissen sollten?«, hakte ich nach. Die Frage nach der Durchsuchung ging mir noch immer im Kopf herum. »Oder vielleicht haben Sie etwas gefunden …«, fügte ich hinzu.
    Sie warf mir einen besorgten Blick zu, so als wüssten sie und ich etwas, das North Anderson nicht erfahren sollte. Sie fing wieder an, mit ihrem Brillantring zu spielen.
    »Ich habe Chief Anderson von Julias Gefühlen gegenüber den Zwillingen nach deren Geburt erzählt«, sagte ich. »Wir halten bei dieser Ermittlung keine Informationen voreinander zurück.«
    »Ich habe nichts gesehen, was unmittelbar mit den beiden Vorfällen zu tun hatte«, erklärte sie.
    »Gut«, sagte ich. »Was haben Sie gesehen?«
    »Ich habe etwas gefunden«, erwiderte sie. »Etwas Seltsames.«
    »Etwas Seltsames …«, wiederholte Anderson.
    »Einen Brief.« Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Ich erwähne das nur wegen Tess – weil Julia noch immer bei ihr ist.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Mein Gott, wahrscheinlich sollte ich gar nicht darüber sprechen.«
    Meine Haut begann zu prickeln. Entweder würde ich gleich eine völlig grundlose Attacke gegen Julia hören, angetrieben von Claires Wunsch, ihren Platz in Darwin Bishops Leben einzunehmen, oder etwas würde meine Sicht von Julia über den Haufen werfen und sie ganz nach oben auf die Liste der Verdächtigen katapultieren. »Wenn Ihnen irgendetwas im Hinblick auf Julia und die Zwillinge auf der Seele liegt«, sagte ich, »dann erzählen Sie es uns bitte – besonders wenn es uns hilft, Tess zu beschützen.«
    Claire blickte zur Decke, dann huschte ihr Blick kurz zu Anderson und blieb schließlich auf mir ruhen. »Einen Moment.« Sie stand auf, verließ das Wohnzimmer und ging die Treppe hinauf.
    »Was hat sie deiner Ansicht nach vor?«, fragte Anderson.
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Ich halte diese ganze ›Ich will es nicht erzählen, also zwingt mich dazu‹-Nummer für aufgesetzt, aber das ist das Einzige, was ich im Moment sagen kann.«
    »Sie ist berechnend«, bemerkte Anderson. »Ich traue ihr nicht über den Weg.«
    Ich nickte, doch meine Besorgnis über Claires vermeintliche Offenbarung wuchs. Ich versuchte, mich zu beruhigen, indem ich aufstand, durch das weitläufige Zimmer ging und einige von Bishops Schaustücken betrachtete: eine antike Chelsea-Schiffsuhr, eine Reihe von Torso-Skulpturen in zarten Schattierungen von Blau, Grün und Rosa, eine Sammlung von emaillierten Füllfederhaltern in einer Mahagonischatulle mit Glasdeckel.
    Als mein Blick auf eine leere Stelle an der Wand

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