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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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zur Nase unter Wasser sein. Sobald sie auftauchen, brennen sie. Dieses Wasser ist mein Brief. Solange ich schreibe, denke ich, was ich will.
    Ich liebe Dich, da steht es.
    Was kann ich Dir sonst noch sagen? Tage ohne Dich vergehen rascher als Nächte ohne Dich; ich arbeite von früh bis spät. Zur Zeit erstelle ich eine Liste der Ärmsten im Ort. Wie sie heißen, wo man sie findet. Es gibt Menschen, die in Autoreifen leben, sogar eine schwangere Frau. Unanständige und arme Frauen sind hier oft ein und dasselbe, sagt man. Aber das stimmt nicht. Auch wenn es den Anschein hat. Du wirst das noch merken. Falls Du zurückkommst. Ich hoffe es. Ich will nicht einsam sein. Lieber denke ich nie mehr an Dich. Vergessen ist eine schwierige Sache, ich habe sie gelernt. Nur weiß ich nicht, ob etwas Schönes unvergeßlicher ist als etwas Schreckliches. Aber die Methode ist gewiß dieselbe – sich immer ungenauer erinnern. Wie findest Du das Foto? Du siehst älter aus als in Wirklichkeit. Und so, als seist Du allein auf dem Bild. Wenn ich das Gefühl bekomme, Dich nie wieder zu sehen, werde ich es verbrennen. Und dabei denke ich gerade, Du könntest jeden Moment durch die Tür treten. Und denke das immer noch, während die Nacht langsam zu Ende geht. Liebster. Es wird Morgen, oder vielleicht ist es auch schon Morgen geworden, auf jeden Fall bist Du nicht durch die Tür getreten, und ich schreibe weiter und weiter und stelle mir vor, Du wirst es niemals lesen. Du hast das Land verlassen, und ich kenne Deine Adresse nicht. Ich weiß ja nur, Du wohnst in Rom. Und Rom, erzählten sich die Fathers oft, sei eine große Stadt mit vielen Gassen. Ich werde Dich also nie erreichen, wenn Du Dich nicht meldest. Wenn ich das ganz und gar begriffen habe, kann ich vielleicht wieder schlafen. Weißt Du, daß die Sonne bald aufgeht? Der Himmel ist schon nicht mehr so schwarz; Du kennst ja die schwarzen Nächte, die es hier gibt. Oder hast Du alles vergessen? Erinnere Dich an das Wetterleuchten, wenn plötzlich die Baumkronen auftauchen. Erinnere Dich an den Blick von Deinem Balkon, wenn die Morgensonne durch den Dampf aus dem Tal strahlt. Erinnere Dich an die winzigen Schatten am Mittag. Erinnere Dich an die glimmenden Feuerchen überall, wenn gegen Abend die Maisrösterinnen aus dem Boden wachsen, wie man sagt. Erinnere Dich an die Pfützen auf den Bananenblättern, nachdem es geregnet hat, und an das Summen der wilden Bienen im Garten. Erinnere Dich an die Spatzen in der Kirche, ihre schnellen Flüge zwischen den Pfeilern. Erinnere Dich an das Licht auf den Blechdächern, wenn ein Gewitter abzieht. An Wilhelms Laden mit den Heftchen, die an Schnüren hängen. Oder den Dom der Sterne. Daß mir all dies gleichgültig würde, wenn Du nicht zurückkehrst, davor habe ich Angst.
    Jetzt wird es langsam hell. Nachher, um acht Uhr, bringe ich den Brief zur Post, dann kann er heute abend in Cagayan sein. Morgen mittag soll dort noch ein Flugzeug starten, und übermorgen könntest Du den Brief schon lesen. Wenn Augustin Dich findet. Seine Suche nach Dir ist sicher mit Kosten verbunden, vielleicht gibst Du ihm etwas Geld (zehn Dollar, würde ich vorschlagen). Augustin hat ja Spaß an Platten; er ist nicht gerade ein mönchischer Junge. Obwohl ich denke, daß er ein guter Priester wird. Nur etwas unglücklich, weil er nicht heiraten darf. Ich könnte ihn mir verheiratet vorstellen, und Du? Aber wen frage ich das. Ich schreibe diesen Brief an mich selbst. Er wird an mich zurückgehen. Plötzlich, nach Monaten, liegt er ungeöffnet in meinem Postfach. Und dann weiß ich, daß Du sehr weit weg bist, ferner als der dunkle Pol. Kannst Du meine Schrift noch lesen? Wie ein aufgeschreckter Vogelschwarm die letzte Seite, nicht wahr? Ich schreibe jetzt im Gehen und denke, Du gehst neben mir. Wir gehen gemeinsam durch den Ort. Alle Leute grüßen uns, und wir grüßen zurück. Wir sind früh aufgestanden, weil wir in die Stadt fahren wollen. Wenn du möchtest, bleiben wir über Nacht, sagst Du zu mir, und baden morgen im Meer. Und ich antworte Dir, aber ich kann gar nicht schwimmen, und Du versprichst, es mir beizubringen. Und küßt mich ganz schnell. Und sagst, du mußt keine Angst haben, Schwimmen ist nur schwer, weil es so einfach ist, du darfst dabei nie denken, daß du schwimmst, das ist die Kunst, und ich drücke Deinen Arm und spreche Deinen Namen aus. Oh, Lukas, ich verliere meinen Verstand. Ich muß Schluß machen mit diesem Brief, sonst zerreiße ich ihn am

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