Infanta (German Edition)
italienische Fernsehen zu drehen begann, formierte sich gar eine Band und brachte Il Mondo. Die Menschen pfiffen und klatschten, und als dazwischen ein Schuß fiel, wuchs der Sänger über sich hinaus. Erst nach dem zweiten Schuß, auf den ein dritter folgte und dann eine Serie von Schüssen, verebbte die Musik, und die Menge duckte sich wie unter einer riesigen Hand. Kurt Lukas und Elisabeth Ruggeri wurden getrennt.
Während es sie an den Rand der Mauer verschlug, geriet er noch tiefer ins Innere und stürzte über Frauen und Kinder. Viele beteten, andere schrien; umgeben von Tausenden, sah er sich plötzlich allein. Wildfremde hoben ihn hoch, er stolperte weiter und überschlug sich, steckte fest und wurde mitgerissen. Noch nie war er so unter Menschen gewesen. In einem Gestöber aus Armen und Beinen, Fahnen und Brillen, aus Rosenkränzen, Haut und Haaren spürte er sein schlagendes Herz. Über Lautsprecher hieß es dann, ein Wahnsinniger habe geschossen, und die Menge beruhigte sich langsam. Gestützt von zwei Frauen, die ihn wie einen unpassenden Stein aus dem Mauerwerk ausschieden, kam Kurt Lukas auf ein Stück freie Fahrbahn und sah einen Mann auf dem Pflaster, umgeben von Blut, als sei ein Eimer Lack ausgelaufen. Rauchende Soldaten drängten Fotografen und Reporter zurück. Er ging auf den Liegenden zu. Ein Offizier trat ihm entgegen, und es kam zu folgendem Wortwechsel:
»Sind Sie Angehöriger?«
»Ich bin Deutscher. Ist der Mann tot?«
»Sie sollten besser hinsehen. Falls ich es gestatte; Ihre Augen gefallen mir nicht.«
»Den meisten Leuten gefallen sie.«
Der Offizier, ein General, packte Kurt Lukas am Hemd, ein Knopf sprang ab; die Fotografen und Reporter, an der Spitze Bowles und Elisabeth Ruggeri, durchbrachen die Absperrung. »Sie haben Glück, daß ich Euch Deutsche mag; Ihr habt brauchbare Philosophen und baut schöne Autos« – der General hob den Knopf auf.
»Dieser Deutsche ist ein Kollege von mir« – Elisabeth Ruggeri lief um die Blutlache und schwenkte ihren Presseausweis.
»Dann erklären Sie Ihrem Kollegen, daß wir keine Barbaren sind, Madam. Wir ließen diesen Mann nicht liegen, wenn er noch lebte. Und erklären Sie ihm auch, daß wir uns hier in einem Krieg befinden und Blutvergießen unvermeidlich ist, Madam« – der General sagte Mädämm, mit deutlicher Verachtung für die zivile Anrede –, »und berichten Sie, daß es hier keinen Staatsstreich geben wird und daß die Leute auf der Brücke nicht etwa Helden sind, sondern ein Verkehrshindernis. Außerdem könnten Sie so nett sein und Ihrem Kollegen diesen Knopf annähen, Madam« – und er reichte Elisabeth Ruggeri den Knopf und bekam mit einem einzigen Thanks, General sämtliche Äs zurück.
Kurt Lukas hörte das alles wie von einer Bühne. »Laß uns heim«, sagte er und wurde an der Hand genommen; erst im Taxi war die Vorstellung für ihn aus. Die Fahrt zum Hotel zog sich hin. Alle wichtigen Straßen waren gesperrt. Sie mußten durch die Wohngebiete auf dem Schwemmland, Geruch von Tang und faulem Holz zog in den Wagen; später führten die Umleitungen durch das chinesische Viertel. Im Schritttempo fuhren sie an Suppenküchen und Goldläden vorbei, an Schönschreibern und Katzenfamilien. Ohne Fahrtwind war die Hitze unerträglich. Kurt Lukas lief der Schweiß in die Augen; er betrachtete die Frau neben sich. Elisabeth Ruggeri hatte den Kopf weit zurückgelegt, ihre lange Halslinie glänzte. Eigentlich machte er sich nichts aus Gleichaltrigen, aber sie war eine Ausnahme. Vielleicht liebte er sie sogar ein bißchen. Wie er alle Frauen, die ihre Zeit mit ihm verbrachten, immer auch ein bißchen liebte, weil sie so ganz und gar anders waren als er. Sie waren keine Männer. Keine von Schevens, die sich Koteletten als Ohrfeigenschutz stehen ließen. Keine Narcisos mit alberner Hupe. Keine Menschen, die, von einem Schwindelgefühl emporgehoben, mit Liebe um sich warfen und dann flohen. Keine Feiglinge, denen jeder Soldat ans Hemd fassen konnte.
Das chinesische Viertel lag hinter ihnen, die Fahrt wurde schneller. In einer Kurve fiel Elisabeth Ruggeris Kopf zur Seite, ihre Schläfe stieß an seine; er ließ sich küssen und spürte eine Hand am Bauch, ihr Suchen, bis sie an das Messer kam. »Du täuschst dich«, sagte er, »du überschätzt mich.« Und er zeigte ihr das Messer, das er jetzt wie einen Glücksbringer bei sich trug, und erzählte dessen Geschichte. Noch in der Hotelhalle sprach er über die Frau im Schmutz und
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