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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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kleinere Bündel teilte. Auch jetzt fiel kein Wort, und keins der Kinder drängte sich vor, als vertrauten sie fest auf seine Gerechtigkeit. Sein Herz klopfte wie immer, wenn man ihm göttliche Eigenschaften zuschrieb. Er erklärte ihnen, es sei falsches Geld, aber vielleicht bekämen sie morgen früh noch etwas dafür, und begann mit der Verteilung. Jedes der Kinder erhielt aus seiner Hand ein Vermögen. »Es ist Falschgeld«, sagte er noch einmal, »es ist nichts wert«, und stieß auf taube Ohren. Schon war alles verteilt, die Kinder schauten ihn an. Sie schauten auf den Umschlag, den er unter den Arm geklemmt hatte, als vermuteten sie weitere Schätze. Und da kam ihm der Gedanke, das einzige zu geben, das ihn ärmer gemacht hätte, wenn er es nicht mehr besäße. Er stellte sich vor, jedem dieser Kinder ein Stück des Briefes zu schenken, ein Wort, eine Zeile, einen Absatz, ein Blatt, und nahm den Umschlag in beide Hände und rannte.
    Niemand sah ihn. Die Gehsteigbewohner würden erst mit dem Frühwind von der Bucht erwachen, vor den Türen der Lokale hingen Ketten, an den Abfallhaufen war das letzte Gesumme verklungen. In dieser Schwebe zwischen Nacht und Tag, als die Kinder, ihr unfaßbares Vermögen umklammernd, noch über einen Geist staunten, der davongestürzt war, feierten in der Halle des Luneta Hotels Journalisten ihren Sieg über die Diktatur. Wer nicht mehr stehen konnte, saß auf der Seite des Guten, und wer zu betrunken war, um zu sitzen, lag in jedem Fall richtig; es war fast unmöglich, in dieser Revolutionsnacht etwas falsch zu machen. Jedes herausgebrüllte Lied wurde zum Freiheitsgesang, jedes gekaufte Mädchen zur Heldin. Man trank auf das Land und die Tapfere Witwe, auf die Kirche und den mutigen Stabschef und immer wieder auf die eigene Leistung, ohne die alles Geschehene der Welt verborgen geblieben wäre, wenn es sich überhaupt ereignet hätte.
    Ein großer, mit Ruß und Asche beschmutzter Mann, der um diese Zeit in der Halle auftauchte, das Haar zerzaust, das Hemd in Fetzen, die Haut zerschrammt und glänzend vor Schweiß, war ein Grund mehr, um anzustoßen. Man prostete Kurt Lukas zu, filmte ihn und bat ihn an Tische und sah in ihm schließlich – er machte weder Siegeszeichen, noch blieb er irgendwo stehen – das einzige Opfer der Wirren. Nach einem Gang an die Bar setzte er sich auf die Stufen zum Klavierpodium, schloß die Augen und trank. Der Pianist schien nur für ihn zu spielen. This is the democratic touch , lautete seine neue Parole zwischen den Evergreens. Er spielte Das Mädchen von Ipanema und Wunderland bei Nacht, Spanische Augen und Auf der sonnigen Seite der Straße, und all diese unsterblichen Lieder verschmolzen für Kurt Lukas plötzlich zu einer Art Heimat; er weinte hinter geschlossenen Augen, eine Erschütterung von Sekunden wie ein aufblitzendes Traumbild mitten im Wachsein. Kaum war es vorbei, spürte er, daß jemand neben ihm saß, und wußte auch schon, wer. Er ließ die Augen zu und erwartete eine Hand im Gesicht, ihre etwas ermüdende Art, ihn zu streicheln, aber statt einer Hand spürte er eine Serviette an seiner Stirn.
    Elisabeth Ruggeri tupfte ihm den rußigen Schweiß ab und blies ihm die Asche vom Haar, strich über seine angesengten Brauen und stellte keine Fragen. Nach stundenlangem Warten begrüßte sie ihn mit fertigen Sätzen. »Ich habe über uns beide nachgedacht und bin zu dem Schluß gekommen, daß wir uns ergänzen. Ich bin dir eine Halbschwester, du mir ein Halbbruder, und dieser schwache Inzest, den wir zweimal am Tag begehen, scheint uns nichts auszumachen. Und das liegt nicht an der Situation um uns herum. Auch wenn ich zugebe« – ab hier improvisierte sie –, »daß ich dich im Augenblick hinreißend finde. Du siehst aus wie ein müder Krieger. Was ist passiert?«
    Kurt Lukas stand auf. »Der Mabini Palast ist abgebrannt. Und ich habe den Brand überlebt. Und bin müde.« Er ging zu den Liften. Elisabeth Ruggeri holte ihn ein. Sie hakte sich bei ihm unter, sie bat ihn zu bleiben. »Alles mußt du mir erzählen«, sagte sie. »Alles.«
    »Ich möchte nur schlafen.«
    »Aber ich gebe dich noch nicht frei. Wir könnten uns in den Park legen; es gibt Dinge, die man unter freiem Himmel besser aussprechen kann.«
    »Zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel, ich liebe dich.«
    »Und ich liebe dich zum Beispiel nicht, müßte ich dann erwidern.«
    Sie schritten langsam durch die Halle und traten in den Park mit seinem Froschkonzert. »Das hat weh

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