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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Packen Geldscheine hervor. »Ihr Hemd ist ruiniert, und Sie haben Angst ausgestanden – nehmen Sie dieses Geld, wir können es nicht weiter verwenden. Es wurde für den Kauf von Stimmen gedruckt. Natürlich ist es falsch, das werden Sie morgen in allen Zeitungen lesen. Aber heute nacht besitzt es noch einen gewissen Wert. Vergnügen Sie sich damit.«
    Kurt Lukas zögerte. Er hatte den Brief, und er lebte, das mußte reichen. Darüber hinaus war ihm nicht viel geblieben. Seine Kreditkarten fehlten, die ganze Hemdtasche fehlte. Arturo Pacificador klopfte sich mit den Geldbündeln sauber. »Auf die Art werden Sie hier nie glücklich.« Er wartete noch einen Moment und übergab das Geld dann mit den Worten, »Nehmen Sie es aus Dankbarkeit«, ehe er vorschlug, ein Stück zu gehen.
    Sie gingen über das Brachland. Noch immer stiegen Raketen auf, doch es wurden schon weniger, noch immer tönten Freudenrufe, doch sie klangen schon erschöpfter. »Und was werden Sie nun tun?« fragte Kurt Lukas. »Fliehen?« Er riet seinem Retter zur Schweiz und nannte einige Orte, um den Dank damit abzuschließen. »Sils Maria«, sagte er, »oder, falls Sie milderes Klima bevorzugen, Lugano«, nannte auch Zürich und Genf mit ihren Vorzügen und erwähnte die eigenen Aufenthalte in den berühmten Hotels; vor lauter Freude am Nochdasein sprach er ganz lebhaft zu einem Mann, der ihm längst nicht mehr zuhörte. Vor dem ersten Haus, in dem Licht brannte, gingen sie auseinander.
    Während Arturo Pacificador zwischen den Zurückgebliebenen aus dem Siegeszug die Uferstraße überquerte, um ein Boot zu besteigen, das auf ihn wartete, zählte Kurt Lukas die Scheine. Je größer der Betrag wurde, um so echter schien ihm das Geld. Zehntausend Pesos hatte ihm der Ex-Gouverneur überlassen. Er teilte den Packen und stopfte sich die Bündel in die Hose, er ging an dem Haus mit Licht vorbei und hörte Gesang. Es war die Zeit der Anfänger zwischen dem alten und neuen Tag, in dieser Nacht auch Atempause zwischen den Regimes. In der Pilar Straße hatten noch Bars geöffnet, aber die Türsteher dösten. Einige Tanzmädchen tanzten noch, doch es sah ihnen niemand mehr zu. Die meisten Gehsteigbewohner schliefen schon. Nur um Abfallhaufen standen noch Menschen. Die einen kauten an etwas, andere summten oder riefen kraftlos den Namen der Siegerin. Als hätte gerade die Leichtigkeit der Revolution mit ihrem guten Ende sie zurück in die Welt aus Amateurgesang, Armut und Hitze geworfen.
    Die Reklamen erloschen. Als Kurt Lukas das schwarze Haus mit dem Etagen-Dampfbad erreicht hatte, lag das ganze Barviertel in einem schwachen Glimmen, nur noch vom Nachglühen der Leuchtschriften erhellt. Er hörte das Fiepen träumender Hunde und den schnellen Atem der Bündel, über die jetzt keiner mehr stieg, und hielt sich bald für das einzige wache Lebewesen weit und breit, verantwortlich für alle Schlafenden. Und dabei herrschte reges Leben um ihn. Ein Leben, das er erst nach und nach sah. Ein Leben, so unglaublich wie die ersten Sätze von Maylas Brief.
    Kleine, halbnackte Gestalten huschten über die Straße, sammelten sich und zerstreuten sich wieder, liefen einander nach oder bewarfen sich mit Schaumstoff. Sie spielten. Es waren die Kinder, die abends Reste für sich und ihre Eltern aufklaubten, nachdem sie tagsüber auf dem Bordstein geschlummert hatten. Die nach der Bettelarbeit wieder in einen Halbschlaf fielen, ehe sie auf dem Grund der Nacht ihren eigenen kurzen Tag hatten. Sie standen zusammen und rauchten oder bildeten Mannschaften und trugen Wettkämpfe aus, in denen kein Wort fiel. Dabei sprangen sie über die Schlafenden oder verschwanden hinter Autos und Hydranten, ja, schienen selbst ins Straßenpflaster einzutauchen, um gleich darauf woanders wieder dazustehen. Jeden Lärm vermeidend, stellten sie die Nacht auf den Kopf. An ihrem Zuschauer zeigten sie wenig Interesse. Sie flitzten an ihm vorbei und benützten ihn als Versteck oder Deckung; mal war er der Pfosten, vor dem alle haltmachten, mal die Wendemarke, um die sie stürmten. Ihre Verständigung bestand aus knappen Pfiffen, wie die tollender Delphine.
    Als sie sich wieder gesammelt hatten, betrat Kurt Lukas ihren Kreis und zeigte die Geldbündel. Alle Kinder wurden starr. Es waren Jungen und Mädchen, kaum auseinanderzuhalten. Sie trugen die gleichen Fetzen, hatten das gleiche schmutzige oder geschorene Haar und alle den gleichen aufwärts gerichteten Blick, als er über ihren Köpfen die Bündel in

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