Infanta (German Edition)
getan«, sagte Elisabeth Ruggeri, als sie zwei Liegen nebeneinandergerückt hatten und ausgestreckt waren. »Aber reden wir von der Revolution. Ich habe tanzende Soldaten gesehen, ich habe weinende Soldaten gesehen. Männer, die vor Freude aufgelöst waren, wenn ihnen fremde Frauen Bier und Reis anboten. Ich glaube, daß in diesen Stunden viel geliebt wird« – Elisabeth Ruggeri lachte und ergriff Kurt Lukas’ Hand –; »so unbedacht, wie vorher geschossen wurde, wird jetzt geküßt. Soldaten und Mädchen verschwinden hinter ausgebrannten Panzern, entkleiden sich, obwohl sie vom anderen nicht mehr als den Vornamen wissen, und laden einander zur Liebe ein.« Sie ließ seine Hand los und deutete auf den Umschlag und erfuhr, was der Umschlag enthielt.
Beide verschränkten ihre Arme und schlossen die Augen, beide ließen die Mücken gewähren. »Es hätte alles in Rom passieren müssen«, sagte Elisabeth Ruggeri nach einer Weile. »Bei mir.«
Kurt Lukas gab ihr recht. Er widersprach nie einer Frau, von der er sich trennte. Obgleich er es für ausgeschlossen hielt, daß es in Rom passiert wäre. Eine bessere Gelegenheit als seine Terrasse an einem Juniabend hätten sie gar nicht bekommen können. Mehr hatte Rom kaum zu bieten, um zwei Menschen zu vereinen. Nur war das offenbar nicht genug gewesen. Ein ganzes Land in Aufruhr gehörte dazu. Geschlossene Flughäfen, Schüsse und Qualm, zornige Krüppel und feuchtheiße Luft, ein schmutziger Händedruck mit der Frau des Diktators und das kühle Hotelzimmer für zweihundert Dollar, damit sie nach sorgfältiger Dusche übereinander herfallen konnten, so hoffnungslos verwandt, wie sie waren. Er warf ein Steinchen ins Schwimmbecken. Ob sie ein Paar kenne, wollte er Elisabeth Ruggeri fragen, ein einziges wirklich zueinander passendes Paar – zwei verschiedene Menschen, die sich immer wieder, zu ihrem eigenen Erstaunen, ergänzen und ein nie abreißendes Gespräch führen, die selbst noch in der äußersten Begierde Worte wechseln, die für sich sind und doch ganz verrückt nacheinander – ob sie ein solches atmendes Paar kenne, wollte er fragen, aber warf statt dessen noch ein Steinchen ins Wasser. So eine Frage stellte man nur Menschen, die man heimlich liebte. Und er hatte zu dieser Frau neben sich mehr als einmal Ich lieb’ dich gesagt, jedesmal deutlicher ohne das e am Schluß. Auf eine unheimliche Weise höchstens zog sie ihn immer noch an, mit ihren langen blonden Schenkeln, die die langen blonden Schenkel einer klugen erwachsenen Frau waren und es auch blieben, wenn sie sich öffneten.
Elisabeth Ruggeri nahm noch einmal seine Hand. »Ich bin eifersüchtig«, sagte sie und drehte sich, als sie keine Antwort erhielt, leise weg.
K urt Lukas und Elisabeth Ruggeri schliefen ein. Fast gleichzeitig glitten sie durch das Öhr des Schlafs wie in vergangenen Nächten durch das der Lust. In ihren Gesichtern lag eine von jeder Rücksicht befreite Erschöpfung. Frühaufsteher machten einen Bogen um das ruhende Paar; der erste Tag der Demokratie begann strahlend.
Gegen acht Uhr weckte sie die Hitze. Der Himmel erschien schon farblos vor Licht. Ein einzelner Schwimmer zog seine Bahn. Kellner gingen mit frischgepreßtem Saft über den Rasen. Wäscherinnen schichteten Badetücher. Ein Parkdiener fischte Laub aus dem Wasser. Falter erprobten die Flügel. Personal verteilte Zeitungen. Elisabeth Ruggeri erprobte ihre Stimme. »Das Volk hat gesiegt«, las sie vor und schlug dann vor, nach Hongkong zu fliegen, dort sei es kühler, als setze sie ein Gespräch vor dem Einschlafen fort. »Ich liebe Hongkong«, sagte sie.
Kurt Lukas stand auf.
»Ich liebe einen Menschen.«
Er ging einmal um das Becken. Sein Gang kam aus Hüften und Knien, ein Zusammenspiel von Gelenkigkeit und Wissen; kaum etwas konnte er besser als gehen. Und er wollte gut beginnen nach seiner Rettung. Ein Windstoß legte ihm eine der Zeitungen vor die Füße wie eine Aufmerksamkeit des neuen Tags. Er sah die Schlagzeilen und dachte, sie müßten ihn bewegen. Aber sie bewegten ihn nicht, gerade weil er dabeigewesen war. Doch lasen sich Schlagzeilen von selbst, wie Blößen sprangen sie ins Auge. Ex-Präsident und Familie auf dem Flug ins Exil. Siegeszug mit Feuerwerk durch die Hauptstadt. Berühmter Nachtclub ausgebrannt. Er ging auf die Knie. Und mit der gleichen besorgten Hast wie die ersten Artikel, in denen sein Name vorgekommen war, las er die Meldung. Alle Gäste und Tänzerinnen hätten sich in Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher