Infanta (German Edition)
gebracht, nur ein Parodist sei umgekommen. Man habe die Leiche mit einem Fernsehgerät in den Armen gefunden. Kurt Lukas zog Hemd und Hose aus. Er sprang ins Wasser.
Das Becken war oval und wurde zur Mitte hin tiefer. Er schwamm dicht über dem Grund. Er war kein guter Taucher, doch schwamm und schwamm. Die Atemnot vereinfachte seine Gedanken. Wieder schrumpfte die Welt. Er liebte also. Kurt Lukas glaubte zu ersticken, aber machte immer noch einen Zug. Das Kachelmuster löste sich auf. Es blieb nur ein zittriges Blau und seine Angst, die falsche Entscheidung zu treffen. Er stieß sich ab und tauchte auf und sah und hörte nichts vor Luftholen. Japsend zog er sich aus dem Wasser, kroch bis zum Rasen und ließ sich auf den Rücken fallen.
Sein Atem wurde ruhiger. Er hob eine Hand und blinzelte in die Sonne. Kleine Wolken zogen auf. Gestern abend wäre ihm Elisabeth Ruggeri noch nachgesprungen. Entweder hatte sie etwas abgelenkt, oder er war ihr schon gleichgültig geworden. Sonst hätte sie ihm doch wenigstens aus dem Wasser geholfen. Und plötzlich tat sie ihm leid, wie ihm der Junge leid tat. Einer Frau das Gefühl für ihn auszutreiben war jedesmal ein Tötungsakt. Kurt Lukas schaute nach ihr. Sie war nicht mehr auf ihrer Liege. Sie stand hinter dem Frühstücksbuffet, im Gespräch mit dem Novizen. Es war wie das zweite Wunder nach dem Wunder der Rettung.
»Augustin!« – nie hatte er so laut einen Namen durch einen Hotelpark gerufen.
S ie frühstückten zusammen. Während Elisabeth Ruggeri an ihrem Tisch unter dem Mangobaum Tee trank und Zeitungen las, saßen Kurt Lukas und der Novize im scharfen Morgenschatten vor einem American Breakfast, das Augustins Wandlung zum Mann vollkommen machte. Er war ausgezogen, das andere Geschlecht zu erkunden, und hatte eine Frau getroffen. Aber das erzählte er nicht. Das verriet nur die Andacht, mit der er den Toast strich, die Langsamkeit, mit der er seine Tasse an die Lippen setzte, und der sich aufrichtende Flaum an den Armen, wenn er sparsame Auskünfte über das Geschehene gab. »Sie mußte dann früh aus dem Bett«, sagte er in einsichtigem Ton. »Um ins Krankenhaus zu gehen.« Und immer noch einsichtsvoll fügte er hinzu: »Sie hat dort auch einen Bekannten.«
Kurt Lukas riet ihm, Grace nicht wiederzusehen.
Wenn es schön gewesen sei, dann habe er Glück gehabt. Ein Glück, wie es das Leben nur vier- oder fünfmal biete. Und das müsse ihm genügen. Denn hinter dem sogenannten Bekannten stecke immer ein Freund, wenn nicht der Ehemann. »Vergiß sie also, und freu dich über das, was war. Später hast du noch Zeit genug, unglücklich zu sein.«
Augustin bestellte noch etwas Rührei nach und wollte gerade für alles danken, als zwei Ereignisse zusammenkamen. Eine schnell herangezogene Wolke schob sich vor die Sonne, und, gestützt von Ben Knappsack, eine schwarze Brille vor den Augen und den erbeuteten Mantel auf ihren Koffer geschnallt, erschien Doña Elvira. Kurt Lukas erhob sich, und sie umarmte ihn mit stummer Heftigkeit. »Ihr Freund ist verbrannt«, sagte Knappsack. »Und ein Teil ihrer Gage.« Der Australier trug zu seiner Kappe jetzt einen Pilotenanzug mit Schulterstücken, die Phantasieuniform, in der er den Ex-Gouverneur flog. Er hatte ein durchsichtiges Tütchen bei sich, das eine einzelne hüllenlose Schallplatte enthielt.
Doña Elvira nahm neben Augustin Platz. Sie sprach kein Wort, schob aber ihre Sonnenbrille ins Haar und betrachtete die Reste auf den Tellern. Kurt Lukas bestellte noch zweimal Frühstück, gegen leichte Bedenken der Kellner – wie schwebende Landmassen trieben jetzt Wolken über die Bucht. Elisabeth Ruggeri kam an den Tisch. Sie drückte der Sängerin die Hand. »Ich las es gerade, es tut mir so leid. Eine sinnlose Tragödie. Früher ging man für Gott ins Feuer.« Sie führte den Gedanken noch etwas aus und sprach von einem fernsehfürchtigen Jungen. Erste Tropfen fielen. Parkdiener schafften einen Schirm heran. Knappsack schob die Tüte mit der Platte unter die Jacke. »Das letzte Steinchen in meiner Sammlung«, sagte er und heulte wie ein einsamer Hund.
»Tribute to Buddy Holly«, rief Augustin, »die alte Version.« Der Australier zog die Kappe vor ihm und zeigte sein seltenes Lächeln. »Das ist meine Musik« – er krümmte den Schirm neu – »und das ist mein Kopfschutz.« Eine Bö fegte über das Wasser. Ober servierten eilig das Frühstück. Kurt Lukas übernahm die Rechnung; wie üblich hatte er einen unterschriebenen
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