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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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»Vielleicht kannst du mitfliegen. Wir starten morgen. Sei im Hotel, ich komme vorbei.«
    Kurt Lukas überhörte das Angebot; er stellte Doña Elvira eine Frage, bekam ihren Rat und kämpfte sich zu einem Pult durch. Es stand erhöht und diente Grace als Ausschau.
    »Sie etwa?« stammelte Augustin.
    »Wollen wir es hoffen«, sagte Kurt Lukas.
    Er trat hinter das Pult, machte der jungen Managerin ein Kompliment für ihre Ruhe in dem Hexenkessel und bat sie um Hilfe bei einem medizinischen Problem (zu dieser Formulierung hatte Doña Elvira geraten). Mit einer Kopfbewegung zeigte er auf den Patienten, sagte dann, was ihm fehle, und zog die Möglichkeit einer Spende für das kostspielige Studium in Betracht. Grace fragte nach der Höhe dieser Spende, er sprach von dreißig Dollar. Sie verzog keine Miene und schaute zu Augustin. Ihr Blick war schon der einer Ärztin, etwas skeptisch, etwas besorgt und voller Verantwortung für das Leben. »Fünfzig«, erwiderte sie. »Und die gleich.« Kurt Lukas schob ihr einen Schein zu. »Aber das andere auch gleich. Er hat jahrelang gewartet.« Sie sah auf ihre Uhr. »Dann wird er auch noch eine Viertelstunde länger warten können.«
    Hastige Gespräche bestimmten die nächsten Minuten. Während die Managerin mit einigen älteren Mädchen Abmachungen traf, redete Kurt Lukas auf den Novizen ein. Grace, sagte er, mache den besten Eindruck. Sie denke praktisch und sei dabei einfühlsam. Und sehe gut aus. Eine ganz seltene Verbindung. Nichts könne schiefgehen. »Achte nur darauf, daß du hinterher keine Selbstgespräche führst. Dazu neigt man. Und halte keine Vorträge. Die richtigen Worte während der Liebe sind schwieriger, als du glaubst. Sie sollten klug und doch gewöhnlich sein und sind etwas für Fortgeschrittene. Also wenig sprechen, hörst du?« Augustin gab keine Antwort. Er konnte gar nicht sprechen. Er sah nur noch die Frau, die auf ihn zukam, und bat mit seinem ganzen erblaßten Gesicht um Begleitung.
    »Andiamo«, murmelte Kurt Lukas.
    Sie gingen an den Aborten vorbei und stiegen eine Treppe hinauf, folgten einem Gang, der um zwei Ecken bog, stiegen eine weitere Treppe hinauf und kamen in einen langen Flur mit Türen, über denen rote oder grüne Lämpchen glimmten. Eine der Türen stand auf. Sie führte in eine niedrige Zelle mit Pritsche. Auf der Pritsche lagen Klopapier und ein Stück Seife. Durch die Wand zur Nebenzelle drangen Gekeuche und Klatschen. Kurt Lukas nahm die Managerin beiseite. Er schob ihr noch einmal fünfzig Dollar zu und bat sie, zu sich nach Hause zu gehen, auch wenn sie im Dienst sei, und dieser Angelegenheit – Revolution hin, Revolution her – die ganze Nacht zu widmen, erhöhte seine Spende ein drittes Mal und nahm ihr das Versprechen ab, dem Jungen eine sanfte Geliebte und gewissenhafte Lehrerin zu sein, eine gute Schwester und ein prächtiges Weib.
    Anschließend wandte er sich noch einmal an Augustino Er vermied jetzt jede Pädagogik und beschwor ihn statt dessen. Kurt Lukas beschwor ihn, Grace zu vertrauen, ihr zu folgen, wohin sie ihn auch führe, und mit ihr zu tun, was immer sie vorschlage. Dann wünschte er ihm Glück, setzte sich auf den Boden und nahm sich den Brief vor.
    Es war der längste Brief, den er von einer Frau je bekommen hatte. Er las ihn Wort für Wort, die Lippen bewegend, und hing immer wieder an einzelnen Worten, als müsse er das Lesen eines Liebesbriefs erst lernen. Nach einer halben Stunde hatte er zwei Seiten geschafft. Je unmißverständlicher die Sätze waren, desto länger dauerte es, bis er ihren Inhalt begriff. Alles, was da geschrieben stand, war für ihn zunächst unglaublich. Aber mit jeder Seite verging zwischen Entziffern und Glauben weniger Zeit. Mädchen kamen mit ihren Kunden vorbei, er bemerkte sie kaum. Nach einer Stunde hatte er Hunderten von Worten geglaubt und spürte langsam, daß der Grund jedes Wortes er selbst war. Drei Seiten lagen noch vor ihm, als er Stimmen hörte und schon dachte, ganz Infanta stehe draußen und rufe nach ihm.
    Die Stimmen waren überall. Sie erschallten in der Umgebung des Clubs und tönten durch seine Räume und Zellen und wurden immer lauter. Während Kurt Lukas die letzten Zeilen las, verbreiteten Kinder die Nachricht, der Präsident und seine Sippe hätten mit einer amerikanischen Maschine das Land verlassen; wild gegen ihre Bauchläden klöppelnd, drangen sie scharenweise in den Zuschauerraum, verkündeten die Flucht und erzählten von Raketen, die in die Nacht

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