Infanta (German Edition)
geschossen würden, hoch in den Himmel und flach in alte und neue Ruinen. Die Bedienungen wollten kassieren, man lachte sie aus. Flaschen wurden geköpft, Gläser gingen zu Bruch. Die einen stießen auf den Sieg an, andere auf die Niederlage. Doña Elvira erhielt den Beifall ihres Lebens. Regimes, hieß es, kommen und gehen, Frauen wie sie aber bleiben. Tränen kullerten ihr über die Wangen. Sie wischte sie weg, und schon flossen neue, hervorgerufen durch einen beißenden Qualm, der plötzlich aus den Lüftungsgittern in der Decke quoll. Die Hochrufe wurden zu Schreien. Tänzerinnen, Kleidung in den Armen, prallten auf rennende Gäste, rennende Gäste stürzten über ihr Fluchtgepäck. Tische fielen um, Scheinwerfer platzten, Vermögen blieb liegen. J. J. Flamingo aus Miami Beach floh Hals über Kopf von der Bühne, die er eben erst betreten hatte, und ließ den falschen Nerz zurück; geistesgegenwärtig schnappte sich Doña Elvira den Mantel und suchte, noch im Sternenbanneranzug, das Weite.
Der Mabini Palast brannte. Zwei Leuchtraketen waren eingeschlagen. Das Feuer fraß sich im Nu durch die Decke, erfaßte den Bühnenvorhang und sprang auf die Kulissen über, schmolz die Kabel der Musikanlage, ließ Haarspraydosen explodieren und dehnte sich prasselnd auf Toiletten und Garderoben aus. Die Vergnügungsmaschinerie brach zusammen. Nur in den abgelegensten Ecken des Clubs täuschten sich manche noch über das Beißen in den Augen; wer ein halbes Kind vor sich knien hatte, hielt seine Tränen eine Zeitlang für den wahren Preis, den er zahlte.
Auch Kurt Lukas glaubte zu weinen, bis er einen aus allen Ritzen dringenden Rauch sah. Er schob Maylas Brief in den Umschlag und stand auf. Dieser Brief durfte nicht verbrennen, nur das dachte er jetzt. Er mußte ihn retten. Die Angst um den Brief nahm ihm die Angst um sein Leben; er lief in den Rauch und fand eine Treppe. Sie führte nach unten. Über die Stufen kroch gelblicher Qualm, und eine Gestalt kam heraufgestürzt, rief »Mein Fernseher«, riß eine Tür auf und verschwand in dichten Schwaden. Kurt Lukas wollte Komm zurück brüllen, doch seine Stimme versagte; er floh über die Treppe. Glühende Luft schlug ihm entgegen, Fensterscheiben klirrten. Tränenblind, den Umschlag auf Mund und Nase gepreßt, nahm er noch ein paar Stufen. Dann verlor der Brief alle Kraft, und die Welt schrumpfte auf einen einzigen Gedanken. Gleich bin ich nicht mehr.
Er bestand nur noch aus der Gegenwart dieses Gedankens, als ihn jemand am Arm nahm. »Nicht sprechen, wenig atmen«, befahl eine Stimme, und er sah wieder hinaus über sich. Er sah das Feuer. Es tobte jetzt mit der Wucht einer Brandung, krümmte Rohre und Geländer, sprengte Türen und ließ Decken bersten. »Gleich«, sagte die Stimme, »nur noch ein Stück.« Sie klang beruhigend wie die Stimme jedes Retters und schien keinem einzelnen zu gehören, sondern dem Leben, das Kurt Lukas auf seine Seite zog. Er kam ins Freie.
Das Hemd hing ihm in Fetzen, seine Lungen brannten, doch er atmete und hatte den Brief; und hörte Laute und sah und spürte den Wind von der Bucht. Und auf einmal war die Welt wieder groß und in seinem Besitz. Er sah Hunde, die im Flammenschein standen, als würden sie glühen, und die geflohenen Gäste neben den Mädchen in ihren Flitterkostümen, alle Habe in den Armen, Wäsche, Kassettenrecorder, Marienfigur. Er sah die Straße und einen Siegeszug und den lodernden Nachtclub inmitten des Brachlands und das Gesicht seines Retters. Ein Gesicht mit zusammengewachsenen Brauen, glanzlosen Augen und den Lippen eines Kindes. Kurt Lukas erkannte Arturo Pacificador nach dem Foto in Adazas Studio und dankte ihm stumm. Der Ex-Gouverneur drehte sich etwas und sah in das Feuer – »Warum sollten Sie in unserem Haus verbrennen? Und dieses Schauspiel versäumen –«
Der Dachstuhl des Mabini Palastes brach ein. Fontänen aus schweifenden Splittern und Funken stiegen in die Dunkelheit, Asche flog umher, Freudenrufe kamen von der Uferstraße. Pacificador schien davon ungerührt. Er rauchte jetzt. »Man hat uns von Ihnen erzählt«, sagte er und schaute auf die Glut seiner Zigarre, als gäbe es sonst kein Feuer. »Wir sahen Sie auf einer Anzeige in Newsweek – kann es sein, daß Sie auf diesem Bild eine solche Uhr trugen?« Er zeigte seine Uhr. »Es ist die einzige Uhr, die ein Mann tragen sollte. Sie ist ein Kunstwerk.« Der Ex-Gouverneur überzeugte sich von ihrer Funktion, lächelte dann plötzlich und holte einen
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