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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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des Zugs. Hinter ihnen hatte Narciso die Quasi-Witwe Flores entdeckt, neben Mayla, De Castro und einem Vertreter des Zeitschriftenhandels. In der dritten Reihe schritten Doña Elvira, Ben Knappsack, Hazel und Kurt Lukas, gefolgt von Jesus Fidelio und dem Fotografen Adaza. Den Rest des Zugs bildeten weinende Kinder, die mit nie bezahlten Heftchen gegen die Hitze anfächelten, rüstige Kirchenhelferinnen, die dem Verstorbenen noch gedient hatten, und Leute, die gewohnheitsmäßig zu Beerdigungen gingen. Eine Trauergemeinde für sich stellten Männer dar, die beiderseits der Hauptstraße hockten, unbewegt, bis auf die Hand, die einen schillernden Hahn streichelte. Vor allem solche Einzelheiten hatte der Hauptmann durch sein Fernrohr betrachtet. Keine Gefühlsregung war ihm entgangen.
    Über Flores’ Backen liefen Tränen der Rührung; die Menschenmenge übertraf sämtliche Vorstellungen, die sie sich in den letzten drei Tagen und Nächten von dem Leichenzug gemacht hatte. Mayla weinte nicht. Nach langen Totenwachen wirkte sie erschöpft. Geradezu glitzernde Tränen vergoß Doña Elvira, während der Deutsche und der Australier nur einen angegriffenen Eindruck machten. Die Alten wirkten verstört. Sie trugen ihre Taschentücher auf dem Kopf und schauten sich immer wieder um, als könnten sie es kaum begreifen, daß halb Infanta einem Greis, der in wilder Ehe gelebt und Fortsetzungsgeschichten verliehen hatte, die letzte Ehre erwies.
    Dalla Rosa schob Horgan, Butterworth führte Pacquin; McEllis half den Pritschenkarren mit dem Sarg ziehen. Er mußte sich nicht anstrengen. Der Totengräber Crisostomo, ein kleiner Mann mit beruflich bedingter Muskulatur und einem ständigen Ausdruck der Ehrfurcht, zog den Karren – so war es nach einem Bier vereinbart worden – mit ganzer Kraft Richtung Friedhof. Kurz vor dem Tor überholte der Polizeichef den Zug und sah, wie Butterworth im Gehen schrieb; auch mit dem Fernrohr hätte er nicht erkannt, daß es sich um letzte Verbesserungen an der vorbereiteten Grabrede handelte.
    Der bleiche Priester schaute dabei immer wieder zum Himmel. Ein Wolkenturm über dem Talkessel, schwarz wie Kohle, beunruhigte ihn; denn um den Eindruck freier Rede zu erwecken, hatte er mit winziger Schrift beide Seiten eines nur handbreiten Blattes beschrieben und brauchte viel Licht für das Ablesen. Außer ihm hatte keiner den Anspruch erhoben, letzte Worte zu sagen. Das an ihn gerichtete Schreiben aus Gussmanns Hand – Butterworth wollte den peinlichen Traum erst nach Schließung der Grube verlesen – promovierte ihn gleichsam zum Redner an dessen Grab. Seit Tagen trug er das Dokument mit sich herum. Es war ihm während der Leichenwaschung übergeben worden, und er hatte für die anderen später gleich drei gute Nachrichten gehabt. Die Rückkehr des verlorenen Gastes, den offenbar natürlichen Tod des früheren Mitbruders sowie die Existenz eines schriftlichen Zeugnisses. Und natürlich Mister Kurts Grüße und das Versprechen, er werde zu Besuch kommen, sobald die Erbformalitäten erledigt seien. Butterworth konnte es immer noch nicht fassen. Da hatte Gussmann also vor dem letzten Atemzug noch rasch Politik betrieben. Er nahm eine weitere Verbesserung vor; seine Hand warf einen verschwindenden Schatten.
    Mit der Begründung, das öffentliche Leben im Ort dürfe nicht behindert werden, hatte Narciso als Polizeichef gerade noch durchgesetzt, daß sich der Leichenzug in der glühenden Mittagsstunde durch Infanta zu bewegen habe; er sah auf einen Wald aus Sonnenschirmen. Die Trauernden hatten den Friedhof erreicht und drängten sich um die Grube. Der Hauptmann parkte seinen Wagen auf dem Erdwall mit den Armengräbern, nahm das Fernrohr und stieg aus. Abwechselnd beobachtete er den Himmel und die erste Reihe hinter dem Sarg. Neben den Alten standen dort De Castro, Mayla und Flores. Die Priester trugen ihre grauen Soutanen, der Bischof einen halbamtlichen schwarzen Rock, der ihn etwas schlanker machte. Aber Narciso interessierte sich nur für Mayla und das Wetter. Er hoffte auf einen Wolkenbruch. Allein durch eine Sintflut könnte er die erste Welle der Reform überstehen; bekanntlich folgte dann Ernüchterung, wenn jeder noch so arm war wie vorher. Schütten, hageln und schneien müßte es, dachte er in seiner Bedrängnis. Schneemassen, wie er sie auf einem Alpenkalender in Doña Elviras Garderobe gesehen hatte, müßten Infanta unter sich begraben. Nur Polizei und Militär wären noch Herr der Lage, also

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