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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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ihres Gesichts nach und sprach ihren Namen aus, einmal, zweimal, deutlich, und erzählte ihr noch eine Kleinigkeit von dem Bild. Von seinem Schönheitsfehler. Da war auf den Schwämmen ein Staubbelag, der das Blau etwas trübte, ein Fingerzeig, wie, wo und seit wann das Bild hing. »Und immer wenn ich allein in dem kleinen Saal war, versuchte ich, diesen Staub fortzublasen. Doch es gelang mir nicht, der Staub blieb liegen.« Er blies ihr auf den Mund, in die Halsgrube und in den Nabel und stellte sich vor, sie zu malen. Nach zwanzig Jahren Unterbrechung wieder zu malen; Mayla wäre dann der zweite Mensch auf seinen Bildern. Einmal hatte er sich gemalt, frontal. Selbstbild mit nasser Hose . Die Fäuste in den Taschen vergraben, Armmuskeln gespannt, Schultern etwas angezogen, Blick von unten nach oben, das feuchte Haar in der Mitte gescheitelt; Hintergrund eine Hausmauer mit Schatten und Rissen. Alles in Grau und Schwarz. Er hatte dieses Bild nie aufgehängt, aber auch nie vernichtet. Er erzählte ihr davon. »Und nun kennst du mich«, sagte er hinterher und deckte sie mit ihren Kleidern zu. Mayla umschlang seinen Kopf.
    Sie sprachen dann nicht weiter über Bilder. Sie sprachen über Flores, Gussmann und De Castro, über Augustin und die Alten. Sie sprachen, bis sie müde waren; Mayla hatte schon die Augen geschlossen, als sie noch fragte, ob sie nun zusammengehörten, und er ihr antwortete, ja, so sehe es aus. Danach schlief sie ein. Er entfernte ihr einen Tabakkrümel vom Kinn und schob ihr sein Hemd unter den Nacken. Keinem anderen Menschen hatte er in einer einzigen Nacht so viel erzählt von sich.
    Drei, vier Hähne schrien nacheinander. Mit einem Hauch von Farbe über den Waldkuppen brach der Tag an. Kurt Lukas legte sich wieder hin; am liebsten hätte er das Bewußtsein verloren, um als junger Mann aufzuwachen, erholt und begabt. Er zählte alle, die ihn kannten, zusammen. Es waren höchstens zehn und wenigstens sechs. Beatrice kannte ihn. Du siehst besser im Sitzen aus als im Stehen, sagte sie. Ein früherer Freund in Berlin kannte ihn. Mit Vorsatz würdest du dich nie umbringen, sagte er. Eine Frau, die er fast geliebt hatte, kannte ihn. Du bist ein Schwein, waren ihre Worte. Sein Vater kannte ihn. Als Kind warst du einsam und albern. Seine Mutter kannte ihn, kannte ihn, wenn sie nicht anrief. Und Gussmann, wenn er Wertester sagte. Dann Mayla, daran glaubte er einfach. Und eine Schülerliebe. Mit siebzehn warst du so männlich, daß du mit keiner Frau reden konntest. Und Elisabeth Ruggeri, wobei er nicht wußte, warum. Schließlich Bob Quint, sein Entdecker. Achte auf deinen müden kalten Blick, der kommt nicht von ungefähr. Zehn Menschen kannten ihn also. Oder waren es doch bloß sechs; vier waren verschwunden. Seine Eltern, im Altenheim. Der Berliner Freund, in Berlin. Die Schülerliebe, in einer Sekte. Also sechs. Oder die Alten zählten schon dazu, dann wären es sogar elf. Er sprang auf. In der Hütte war etwas zu Boden gefallen.
    Wilhelm Gussmann saß in Hemd und Hose am Tisch, den Kopf schräg im Nacken, Mund und Augen standen offen, die Hände hielten einen Napf und ein Kreuzchen. Unter dem Tisch lag die Flasche Wein aus El Paso, leer, auf dem Tisch lag ein Brief, An Fr. Butterworth, S. J. Das waren die näheren Umstände, aus denen hervorging, was er in den Nachtstunden lautlos und zügig getan hatte. Sich angekleidet. Die Flasche von Spinnweben befreit. Den Korken gezogen. Den Wein getrunken. Sich selbst überwunden. Den Brief geschrieben. Sich Gott befohlen. Das Leben gelassen.
    Kurt Lukas hatte keine Erfahrung mit Toten. Aber in diesem Körper war das Leben zusammengebrochen. Er ging einmal um den früheren Gussmann herum, bevor er den Brief nahm. Der Umschlag war nicht zugeklebt, als hätten am Ende Sekunden gefehlt. Er zog ein einzelnes Blatt hervor, eng beschrieben, der Anfang unterstrichen. »Butterworth! Etwas bleibt immer zurück, in meinem Fall ein Traum. Lies ihn den anderen vor. Aber deute ihn nicht. Und hab ein Auge auf Flores, berate sie in Gelddingen. Und verzeih Dir und mir. G.« Diesen Worten folgte der Bericht des Traums. Kurt Lukas verschloß den Brief und legte ihn wieder zurück. Dann trat er in den Hof, um Mayla zu wecken.

N arciso gab es auf, die Trauernden zu zählen. Nachdem er, mal mit, mal ohne Fernrohr, die vielen Menschen von seiner Veranda aus hatte vorbeiziehen sehen, fuhr er langsam hinter der Menge her.
    An der Spitze schritten die Alten, Pacquin bestimmte das Tempo

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