Infanta (German Edition)
letzte Streifen blauen Himmels verfinsterte sich. Crisostomo riet zur Eile, Butterworth sprach die einleitende Formel; McEllis führte Pacquin aus dem Bereich der Grube. Er brachte ihn zu De Castro, der ihn in seinen Windschatten nahm. Dann trat er neben den Sarg. Man müsse handeln, rief er Butterworth zu, aber dieser guckte in die Luft, etwas Hellem hinterher, das in die Höhe schoß und wieder trudelnd sank, mal hierhin gerissen wurde, mal dorthin, in Spiralen stieg und stillstand, bis ein Sog es mit sich nahm, hinein in die schwarzen Wolken: seine Rede. Also spreche eben er einige Worte, sagte McEllis und konnte gerade noch den engsten Kreis begrüßen, ehe ein Blitz den Himmel von oben bis unten spaltete und ein Wasser auf Infanta und seinen Friedhof niederging, als falle die gesamte Regenzeit auf diesen einen Mittag. Butterworth gab auf. Gegen den Sturm fuchtelnd, trat er zu Dalla Rosa und Horgan.
McEllis hatte das Wort. Durchnäßt bis auf die Haut, stand er vor dem Grab, beide Hände hilfesuchend am Sarg. Was da von oben kam, war keiner dieser Güsse, deren Ende man ohne Zeichen von Schwäche abwarten konnte; er breitete die Arme aus und sprach dann mehr gen Himmel als zu den Trauernden; er faßte sich kurz. Wilhelm Gussmann sei ein Mensch gewesen. Ein Mensch durch und durch, ein Mensch bis zum äußersten, bis zum äußersten stark und bis zum äußersten schwach, was Gott allein begreifen könne, der ja den Menschen geschaffen habe. Gott, dessen Diener Gussmann lange Zeit gewesen sei, vielleicht sogar bis zuletzt, vielleicht sogar als Liebender. Amen. Nach diesem Punkt hinter Gussmanns Leben nickte er dem Totengräber zu, und Crisostomo ließ mit einem Gehilfen rasch den Sarg in die Grube, wo er sofort im Wasser schwamm. Trotz dieses Bildes der Auflösung verharrte McEllis noch in stillem Gebet, bevor er zur Schaufel griff und Schlamm auf den Sarg warf. Ihm folgten Flores, Mayla und der Bischof, Pacquin, Dalla Rosa und Horgan. Von den näheren Hinterbliebenen nahm Butterworth als letzter die Schaufel; es gab ihm Gelegenheit, auch allerletzte Worte zu sagen. »Die Literatur, Wilhelm«, hörte McEllis ihn rufen, »ist ja voll von verregneten Begräbnissen, aber deines läßt alles Erfundene hinter sich. Du gehst von uns, wie du gelebt hast: mit Pauken und Trompeten! In schwachen Stunden gehörte dir unser Neid. Ruhe in Frieden.«
Kaum hatte der engste Kreis Abschied genommen, brach die Disziplin der Trauernden zusammen. Nach allen Seiten rannten die Menschen davon. In Minutenschnelle leerte sich der Friedhof. Nur die Alten, De Castro, Flores und Mayla standen noch in durchweichten Kleidern zusammen. Der Hauptmann sah, wie sich die kleine Gruppe, Horgan mehr tragend als schiebend, zur Leichenkapelle bewegte – aber wer holte sie von dort ab? Er beugte sich über das Lenkrad. Was für ein Erfolg – als hätte er das Unwetter nicht nur herbeigewünscht, sondern erschaffen. Sie würden sich alle erkälten in der Kapelle. Die Jungen würden es überleben, die Alten kaum. Es sei denn, sie kämen schleunigst nach Hause. Narciso ließ den Motor an. So einfach blieb man Polizeichef.
T agelang schüttete es. Ein dunkles Wolkenmeer folgte dem anderen. Dicht und senkrecht fiel der Regen auf Infanta. Nur für Minuten brach hier oder dort die Sonne durch, und statt des Herabströmens stieg Dampf aus den Bäumen. Neue Bachläufe durchschnitten den Talkessel, ganze Wege waren verschwunden; in braunen Pfützen standen Kinder bis zum Hals. Die Fahrspur nach Malaybalay verlor sich, die Frauengruppe mußte ohne Flores tagen. Und doch war es nicht der lokale Weltuntergang, auf den Narciso gehofft hatte. Es regnete nur. Morgens, mittags, abends, nachts. Obwohl die Regenperiode noch bevorstand. Das Klima hatte einen Knacks bekommen und damit die Menschen – oder umgekehrt, wie McEllis ins Wetterbuch eintrug. Niesend.
Sie hatten alle den Schnupfen. Ihr Bestand an Taschentüchern war verbraucht. Im Garten ging die Kamille zur Neige. Die Abendunterhaltung verlief gereizt. Aber sie waren nicht bettlägerig. Ohne den Hauptmann wäre es allerdings nicht bei erhöhter Temperatur geblieben; das warme Essen in ihrem Kreis habe Narciso wohl günstig beeinflußt, war die überwiegende Meinung. Ein Spätentwickler. Sofern seine Tat nicht eine Fehlhandlung gewesen sei, schränkte Butterworth ein. Seit Gussmanns Begräbnis dachte er in psychologischen Begriffen. Während des Dauerregens hatte er in seiner Kammer einiges nachgeschlagen.
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