Infanta (German Edition)
sich aus, und der Mensch, den sie herbeigesehnt hatte, beugte sich über sie. Er erkundete ihren Mund, ihre Ohren und die Achseln, ihre Hüften, ihren Bauch und die leichte Höhlung der Schenkel. Seine Finger fanden ihre empfindlichste Stelle, und Mayla fand die gleiche Stelle bei ihm – »Ich glaube, Lukas, dort sind wir uns am ähnlichsten«, sagte sie leise.
Später lagen sie nebeneinander. Mit schöner Regelmäßigkeit tropfte es von den oberen Blättern der Stauden noch auf untere Blätter. Außer diesem leisen Nachregen war es still. Doña Elvira sang nicht mehr, kein Hund bellte. Infanta schlief.
»Erzähl mir von Rom«, flüsterte Mayla.
»Von Rom? Ich wohne da, was soll ich erzählen; das Beste an Rom ist der Sommer.«
»Dann erzähl von diesem Sommer.«
»Sobald es wärmer wird, häufen sich die falschen Alarme. Wenn sich nachts junge Pärchen über Autos beugen und die Diebstahlsirenen auslösen. Sind die Pärchen älter, haben sie ihr eigenes Auto. Das erste Schlafzimmer einer Römerin ist das Auto ihres Freunds, das zweite ist das eheliche, das dritte wieder ein Auto, das des Geliebten. Von Rom erzählen heißt von Licht und Autos erzählen. Nach der letzten Abendsonne, wenn dir die Häuser nicht mehr wie glühende Ziegel vorkommen, siehst du die Männer über die Plätze gehen und denkst, sie halten alle ein Handtäschchen. Das sind ihre Autoradios, die sie mitnehmen. Rom ist im Sommer die Stadt der Angst vor den Dieben und des ewigen Mittags. Das ist alles, was mir im Augenblick einfällt.«
»Dann erzähl mir von Deutschland.«
Kurt Lukas drehte sich auf den Rücken.
»Ich kenne es kaum.«
»Aber du bist dort geboren«, sagte Mayla, »und bist doch sicher oft zu Hause.«
Er lachte. »Zu Hause? Nein, nie. Nur nach Frankfurt komme ich noch. Bei Zwischenlandungen. Das kann dann ein halber Tag sein.« Was er an so einem halben Tag mache, Verwandte besuchen? Er lachte wieder. »Verwandte? Ich glaube, ich habe in dieser Stadt keine Verwandten. Was mache ich also. Ich gehe ins Museum und schaue mir ein Bild an. Immer dasselbe Bild. Verstehst du das?«
»Vielleicht.« Mayla streichelte ihn mit den Brüsten. Ihr Gesicht erschien über seinem. »Erzähl von dem Bild.«
»Als ich es zum ersten Mal sah, hat es mich überrascht. Wie ein unerwarteter Anblick des Meeres.«
»Es gibt viele Meere.«
»Des Mittelmeers. Im Oktober. Von Ravello aus, wir werden dorthin fahren.«
»Erzähl von dem Bild.«
»Es ist ein ganz und gar blaues Bild«, sagte Kurt Lukas und verbesserte sich aus Respekt vor der Unerschöpflichkeit des englischen Blue, »ein Bild ganz in Blau.« Er küßte ihren Mund und ihre Lider und dachte dabei an das Bild. Das ja nicht einfach nur blau war; es war eine von Steinchen und Schwämmen unterbrochene Fläche, eineinhalb Meter hoch, gut einen Meter breit, und ungerahmt, als sei sie nicht zu begrenzen. »Und was für ein Blau?« fragte Mayla. »Wie unser Vormittagshimmel?«
»Ganz anders. Nicht wie der Vormittagshimmel. Der Vormittagshimmel strahlt. Dieses Blau saugt. Mehr kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich nicht genauer.« Sie kämmte sein Haar mit den Fingern. Sie bat ihn, sich zu erinnern. »Ich will wissen, warum du dieses Bild magst.« Ein kurzer Hahnenschrei ertönte, wie die Stimmprobe vor dem richtigen Geschrei, und ein anderer Hahn antwortete ebenso knapp. »Warum?« Er überlegte nicht lange. »Ich stehe vor diesem Bild – vor guten Bildern soll man nicht sitzen – und denke an nichts. Das Bild beschäftigt mich, aber ich beschäftige mich nicht mit ihm. Verstehst du das?« Mayla lächelte. Er glaubte ihr nicht. Wie könnte sie dieses Verhältnis zu einem Bild auch verstehen. Und er hatte ja nicht nur dieses eine Verhältnis. Es gab ein Bild in New York, in Paris, in Madrid; nichts erschien ihm verläßlicher als ein Bild in einem Museum.
»Ist es wirklich nur blau?« fragte Mayla.
»Im Grunde schon. Aber der Maler hat noch einige Schwämme und Steinchen auf die Leinwand geklebt« – irgend etwas sträubte sich in ihm, dieses Strandgut genau zu beschreiben – »und dann alles mit seinem Blau getränkt. Einem Blau wie ein ruhiges Ja. Zu einer verlorenen Sache.« Mayla sah ihn an, sie richtete sich auf. »Glaubst du, das Bild würde mir gefallen?« Er schüttelte den Kopf und empfing ihre sanfte Ohrfeige. »Wie willst du mich lieben, wenn du mich nicht kennst«, sagte sie.
»Kennst du mich?«
Kurt Lukas strich ihr über Schläfe und Wange, er zeichnete den Umriß
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