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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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nur er – der Nachfolger des Kommandanten war ein Niemand. Ein Schreibtischoffizier, dem selbst die Ouvertüren-Hupe seines Vorgängers keinen Glanz verliehe. Dieses beschwingte und doch kultivierte Signal, mit dem er, Narciso, nun auf sich aufmerksam machte. Die Leute drehten sich danach um. Sogar Mayla hatte sich schon umgedreht. Die Sekretärin des Bischofs, von der er neuerdings abhängig war. Bei der Entscheidung, ob ein Polizeichef entfernt werden sollte, wurden ja jetzt Vertreter der Kirche gehört. Also ein De Castro; also eine Mayla – die er darum im Auge behielt, samt ihrem Geliebten. In den vergangenen drei Tagen hatten die beiden sich nur einmal gesehen. Sie hatten Flores geholfen, ihre Habseligkeiten zu packen und in eine Hütte zu bringen, die schon lange zum Verkauf stand; später hatte Mayla Totenwache gehalten und der Deutsche geschlafen oder in Heftchen geblättert.
    Narciso war von seiner Theorie, der Gast der Alten sei Amerikaner und Journalist, längst abgerückt. Er hielt ihn jetzt für einen Berufscharmeur, der mitunter auch schrieb, und brachte ihn lose mit einem Film in Verbindung, den er vor Jahren in der Hauptstadt gesehen hatte. Das süße Leben. Zweifellos jemand, der die Phantasie beflügelte; vielleicht war alles Gerede über das Liebesverhältnis zwischen diesem Mann und Mayla leidenschaftlicher als die Sache selbst. Dagegen sprach, daß Mayla inzwischen den durchsichtigen Panzer einer Liebenden besaß; wie ein gläsernes Gehäuse war ihr Glück, ein Gehäuse, gegen das man schmerzhaft prallen konnte, angezogen von einer Gelöstheit, die ebenfalls nur Liebende haben. Er hatte sie in ihrem Büro aufgesucht, einen Tag nach Gussmanns Tod, um vorsichtshalber Beileid auszusprechen, und war einer maßvoll erschütterten Aufsteigerin begegnet. Einer Frau, für die jeder veränderte Umstand ihres Lebens wie zu ihrer besseren Entfaltung geschaffen schien. Die neue Lage im Land. Die Trauer um Gussmann; dessen Tragik, die nun ihre Tragik war. Die Arbeit an der Seite des Bischofs, der Geliebte aus der Stadt des Papstes. Alle Sorgen, die man ihr vortrug, alle Probleme, die sie bewältigen half. Selbst der Stuhl, auf dem sie saß, der Tisch, auf dem ihre Ellbogen ruhten, ein Schreiben, über das ihr Blick glitt, der Telefonhörer, der zwischen ihre Wange und die Schulter paßte, sogar die englische Sprache; sie hatte ihn warten lassen. Er war in der Tür gestanden, während sie ein Bittgesuch las, dem Bittsteller Bananen anbot und ein Ferngespräch führte. Zwischendurch hatte sie ihm zugenickt, was Geduld heißen sollte, und nachdem der Bittsteller gegangen und das Ferngespräch beendet war, sie noch eine Notiz gemacht und sich in die Hände geräuspert hatte, war sie mit einem ruhigen Ja? aufgestanden. Und er hatte sein Beileid formuliert, sie zweimal beim Namen genannt, sich dreimal versprochen und als Antwort ein etwas längeres Schließen der Augen erhalten, verbunden mit den Worten, ob es sonst noch etwas gebe – dann einen angenehmen Tag, Captain. Nie würde er das vergessen. Narciso warf sein Fernrohr in den Wagen und schloß die Fenster. Irgendeine Macht hatte seine Wünsche erhört.
    Als Butterworth neben den Sarg trat und sein Gesangbüchlein öffnen wollte, in dem das Blatt mit der Rede lag, riß ein Windstoß den Priestern die Taschentücher vom Kopf; ein zweiter, orkanartiger Wind knickte Kreuze auf den Armengräbern und zerfranste die schwefelgelben Ränder der Wolken. Dalla Rosa sicherte die Räder des Rollstuhls mit Steinen. McEllis sah den fünf Taschentüchern nach, die von thermischen Kräften höher und höher geweht wurden, lächerlich weiß vor den Unwetterwolken. Pacquin drohte in die Grube zu stürzen, der Wind blähte seine Soutane. Ein Teil der Menge betete jetzt, andere sangen Choräle; beides wich vom Programm ab. Butterworth klappte sein Buch auf und hielt das flatternde Blatt mit den Fingern. An den Eindruck freier Rede war nun nicht mehr zu denken. Ja, die Rede selbst war in Gefahr: Die Sonne verschwand, als gehe sie unter. Gleichzeitig wurde es wärmer, und kein einziger Tropfen fiel. Die Wolken schienen überladen mit Wasser. »Wilhelm Gussmann«, schrieb der bleiche Priester noch hastig auf eine Ecke des Blatts, »war ein Gefallener und ist es noch immer. Seine Seele muß warten . . .«
    Ein einzelner Donner, scharf wie das Krachen von trockenem Holz, ließ die Erde erzittern. Aus den Windstößen wurde Sturm, Schirme und Zweige wirbelten über die Menge. Der

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