Infanta (German Edition)
Mayla weitgehend –, sondern vor allem die mühsame Aneignung des ererbten Besitzes. Hier wäre ein Goethe-Wort fällig gewesen, aber unser deutscher Gast verlor sich statt dessen in Einzelheiten und sprach schließlich davon, wie quälend es sei, wenn man immer wieder entscheiden müsse, was man abstoßen sollte und was behalten. Er könne einen letzten Willen eben nicht auf die leichte Schulter nehmen. Im übrigen erbe er zum ersten Mal. Neunhundertsechsundvierzig Heftchen habe er gezählt. Er stehe fast nur im Laden und habe dort auch sein Bett aufgeschlagen; in der Hütte schwebe noch der Tod. Wenn er sich einrichten würde, dann eher in dem Laden, mit Blick auf den Weg, auf die Piazza sozusagen. Den Heftchenverleih würde er eigentlich gern weiterführen, aber ein Billardtisch sollte dazukommen. Vielleicht auch ein Spielautomat. Und wäre es nicht so lächerlich, könnte er sich sogar ein anderes Schild auf dem Dach vorstellen, Lukas’ Lesehalle. – Einen Strauß aus Wenn und Aber nannte unser Superior diese Ausführungen und bat Mister Kurt, bis zum nächsten Besuch seine Gedanken zu ordnen. Leerten dann die Gläser und begleiteten den Rückkehrer auf die Veranda. Dort schnitt ich noch einen Punkt an, den ich mit De Castro und den anderen besprochen hatte: Wenn Gregorio, wie geplant, als gewöhnlicher Reisender eintrifft, sollten ihn nur Mister Kurt und ich empfangen. Wer immer uns beobachtet, käme höchstens auf den Gedanken, ich begleitete einen scheidenden Gast zum Flughafen. Mister Kurt sollte Gepäck dabeihaben, ich die Hündin. Setzte ihm das auseinander, und er war sofort einverstanden. Ein Grund mehr, noch hierzubleiben, meinte er – mir scheint, er sucht weitere Gründe. Vereinbarten Ende der kommenden Woche wieder ein Essen, erwogen bei der Gelegenheit einen zweiten Liederabend mit Doña Elvira und verabschiedeten uns. Pacquin dankte im Namen aller für den Röster, man werde mit diesem neuen Apparat zu leben lernen. Horgan sprach von baldiger Revanche, Dalla Rosa vom obersten Regal der Bibliothek, an das er nicht heranreiche; Butterworth wollte das Thema der römischen Regentage vertiefen. Nur ich blieb beharrlich. Wir sollten dann über die Liebe sprechen, gab ich Mister Kurt auf den Weg. Er lächelte mir zu und ging. Unmöglich, auch nur einen Gedanken in seinen Augen zu lesen; ein Schleier von Jugend scheint endlos auf ihnen zu liegen.«
McEllis war erschöpft. Er klebte noch die Zettel ein, er wusch seine Hände, er löschte das Licht. Und lag wach. Wie sprach man über Liebe? Über die handfeste, durch Mark und Bein gehende, ein ganzes Leben auf den Kopf stellende Liebe. In höchsten Tönen? In leisen Tönen? Im Plauderton? Andächtig? Oder gar nicht; ein Gussmann hätte das gewußt. Nie wieder seit seinem Austritt habe er menschenfern über die Liebe gesprochen – und also auch nicht über alles Geringere, so Gussmann bei ihrer letzten Zufallsbegegnung. Und seitdem bewegte ihn, George McEllis, der Gedanke eines ganz und gar anderen, womöglich versäumten traurig-zärtlichen irdischen Lebens. Er predigte die Liebe – Wilhelm hatte sie gelebt. Oder was war das sonst, wenn ein Greisenherz hüpfte? Und später brach. Und so ein überdeutlicher Traum daraus wurde, nackt und ohne Raffinessen. Als habe die Seele kapituliert. Und dann so ein Brief entstand, so ein offener Brief. Über die handfeste Liebe reden hieße schutzlos reden. Gussmann habe ja an manchen Tagen wie ein Kranker vor sich hingemurmelt, Gott möge ihn vernichten, vernichten, vernichten, wie man von Flores, zehn Tage nach seinem Tod, in Momenten besonderer Trauer hören konnte. Und nachts, nachts sei Wilhelm aus dem Schlaf geschreckt und habe auf deutsch gerufen, Es brennt so. – McEllis sprach die Worte vor sich hin, obwohl sie ihm angst machten wie ein Zauberspruch. Es brennt so. Was konnte das heißen? Ich liebe dich hieß es nicht, das klang viel heller. Vielleicht sollte er Mister Kurt fragen. Nein, besser nicht. Auf jeden Fall gab es zwei Arten von Liebe. Die Zugabe zur Schöpfung, um deren Unfertigkeit zu mildern, und die bohrende, grausame, alles versengende. Es brennt so. It burns? McEllis schaltete das Licht wieder an und sah zum Gekreuzigten, der klein und honigfarben an der Wand hing. Das war die eine Art – immerzu an ihn und sein Opfer denken. Ständiges Wissen um ihn, ständiges Vor-Augen-Haben seines Leidens. Und trotzdem das Sehnen nach Nähe. Beten bis zum Gehtnichtmehr. Ins Leere lieben, Nacht für Nacht.
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