Infanta (German Edition)
denn ich muß in Kürze wieder aus dem Bett.«
Der bleiche Priester zog sich zurück, und bald danach , wie McEllis – hellwach und horchend – notierte, ging auch Kurt Lukas in seine Kammer. Bis auf die Erschütterungen des Kühlschranks und das Mitbeben der Anrichte war es in den folgenden zwei Stunden ruhig und doch nicht so ruhig wie gewöhnlich. Jeder der Alten nahm die schwache Unruhe wahr, die entsteht, wenn sich Liebende vornehmen, leise zu sein; in Butterworth’ Heft und McEllis’ Wetterbuch kam es zu Eintragungen mit gleichlautendem Anfang. »Weitere Begegnung zwischen Mayla und dem Deutschen.«
Tatsächlich saß Mayla, als Kurt Lukas in die Kammer kam, auf seinem Bett, aber nur dieser Umstand war Wiederholung. Was folgte, war neu zwischen beiden. Ohne den Streit auch nur zu erwähnen, zogen sie einander aus und betrachteten sich im Schein der Ewigen Lampe. Mit nichts verbargen sie ihre Erregung, nicht einmal mit Schweigen. Sie flüsterten in einem fort; alles, was sie berührten, sahen und zu tun gedachten, alles, was sie rochen und schmeckten, was sie an und in sich fühlten und dabei empfanden, tauften sie gemeinsam. Sobald sich ihre Zungen voneinander lösten, sprachen sie den Namen des anderen sorgfältig aus oder gebrauchten die Worte, auf die sie sich geeinigt hatten. Kurt Lukas lag auf dem Rücken, Mayla war über ihn gebeugt. Er streichelte ihre Arme und Schultern, sie küßte sein Gesicht und sein Haar. Noch nie hatte er Arme und Schultern so lange gestreichelt, noch nie war er so gründlich geküßt worden. Die Zeit schien jetzt auf ihrer Seite; leise und beharrlich feierten sie ihr erstes Fest. Sie balancierten aufeinander, ohne es zu merken, waren Tänzer und Seil, Abgrund und Netz. Während aus seinen Augen das Müde und Kalte verschwand, glättete sich über Maylas Knöcheln die fein zerknitterte Haut. Beide übertrafen sich selbst. Sie waren glücklich.
Kurz vor fünf, als Butterworth wieder aufstand, um nach einem genau festgelegten Zeitplan zwei Gemeindehelfer einzulassen, die den Sarg mit Gregorios präpariertem Leichnam brachten, gipfelte dieses Fest in einem langen Augenblick der Stille. »Eine Koinzidenz«, notierte der bleiche Priester im Gehen, »der man keine übermäßige Bedeutung beimessen sollte«; dagegen schrieb McEllis, kurz nach fünf, den schlichten Satz: »Unser Gast und Mayla liebten sich bis zum Morgengrauen.« Mit immer spärlicheren Bewegungen und begleitet von immer weniger Worten hatten sie sich sogar bis zum Einsetzen der Weckmusik umarmt. Dann war Mayla auf die übliche Art entschwunden und ihr Geliebter in einen tiefen Schlaf gesunken.
Kurt Lukas erwachte erst, als die Tageshitze vorüber war. Er erfrischte sich und ging in den Ort. Die Leute grüßten ihn und deuteten auf das gefälschte Plakat; es hing überall und war oft bis auf Maylas Gesicht überklebt. Immer wieder lächelte sie ihm entgegen, und er war stolz darauf, daß sie ihn liebte. Hinter der Poststelle blieb er stehen und überlegte, wie er die Stunde bis zum Abendbrot gestalten könnte. Als er schließlich die Richtung zu Cooper-Gomez’ Salon einschlug, um sich rasieren zu lassen, war seine Liste wieder eine innere Liste und bestand nur noch aus zwei Zeilen. Leicht abwesend wie alle Zufriedenen wechselte er langsam auf die andere Straßenseite und übersah drei Bekannte, die sich im Vorbeifahren nach ihm umdrehten.
Der Novize – er saß in einem staubigen Bus – ahnte Kurt Lukas’ Ziel und war sofort entschlossen, auch zum Friseur zu gehen. Elisabeth Ruggeri – sie saß in einem Taxi – kam auf die Idee, zunächst die Sängerin aufzusuchen, die ihr das Neueste über Kurt und seine Freundin berichten würde, bevor sie morgen vormittag zum Bischof ginge. Und Arturo Pacificador – er saß in seinem ultramarinblauen Mercedes, in den er sich gerade den Anfang von Pretty Woman als Hupsignal hatte einbauen lassen – dachte daran, dem von ihm geretteten Deutschen, dessen Ausdruck ihm so gut stand, demnächst ein Angebot zu machen: sein Berater zu werden.
»Oh, ich wußte, Sir, Sie würden kommen«, rief Gary Cooper-Gomez.
Der Friseur stand in seinem Salon, wie immer in Schwarz, mit aufgestellten Wimpern, das Haar zum Zopf geflochten. Kurt Lukas setzte sich auf den einzigen Stuhl und sagte, »Rasieren.« Cooper-Gomez beugte sich über ihn. »Wie viele Stoppeln doch am Abend aus Ihrem Gesicht wachsen«, bemerkte er händeringend, lockerte dann seine Finger wie ein Pianist vor Konzertbeginn,
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