Infanta (German Edition)
du? Weil ich dazu imstande bin, antwortete ich, und Horgan lachte mich leise aus und nannte meine Erklärung eitel, ja, dumm. Man schreibe, hauchte er, um eine kleine Seele zu vergrößern. – Woher weiß er das, frage ich mich . . .«
Butterworth schloß Manuskript und Zettelkasten und rauchte die Tageszigarette zu Ende. Vielleicht sollte er die Recherche Horgan überlassen, dem ja offenbar viel zuflog, und die Mayla-Darstellung an McEllis abgeben; man durfte nicht an sich, man mußte an die Sache denken. Er lockerte seine Brillenbefestigung, er legte sich hin. Und noch vor dem letzten Gebet träumte er einen Augenblick lang von einem Buch aller , von einem gemeinsamen Opus ultimum, das so viel Geschäftigkeit mit sich brächte, daß der Tod keine Chance hätte, sich bei ihnen einzunisten, bis es beendet wäre.
Der bleiche Priester schlief ein und erwachte am Morgen, ging seiner Arbeit nach und war am Abend erschöpft, schrieb noch bis spät, um in den Schlaf zu fallen, und wachte erneut auf – und übersah wie die anderen, daß seine Tage gezählt waren.
W ährend die Alten die Zeit etwas aus den Augen verloren, führte ihr Gast zum ersten Mal einen Kalender. Es war die zwanzigste Nacht seit seiner Rückkehr auf die Station; Kurt Lukas’ Suche nach dem Ort, an dem er bleiben könnte, hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die Liste der Wahlheimaten bestand seit dem Abend nur noch aus drei Einträgen in der Reihenfolge von Zeitangaben. Infanta ab Januar. Der Bodensee im Juni. Rom im August. Für die Zwischenmonate waren sieben weitere Orte in Frage gekommen, einen nach dem anderen hatte er gestrichen. Der Rest erschien ihm so wenig kürzbar wie die Worte Ich liebe Dich. Immer wieder dachte er darüber nach und fand keine Ruhe; ein langer Tag ging nicht zu Ende.
Noch in der Morgenfrische hatte Pacquin mit ihm über den anzulegenden Weg gesprochen. »Einen Weg zum künftigen Grab von Gregorio, und dies nach Möglichkeit geheimhalten«, sagte er, bevor sie erörterten, was bei dem Gefälle im Garten geeigneter wäre, Stufen oder Serpentinen. Nach dem Mittagessen war Kurt Lukas zum ersten Mal im Abstellraum für die gestifteten Dinge gewesen. Der Superior hatte sich an einem Sofa entlanggetastet, auf dem ein deutscher Videoapparat stand, und auf einen Stoß grober Steinplatten gedeutet – ob er die behauen könne. Antwort: Das wird sich zeigen. Danach langsamer Gang durch den Garten mit dem Resultat einer Stufenlösung. Und gegen Abend hatte er Mayla im Laden getroffen. Ergebnis: ein Streit. Später, auf dem Heimweg, war er an einer brennenden Hütte vorbeigekommen, davor eine starre Menge und ein behender Fotograf – Bowles, vom Mabini Palast und der Lebenden Mauer, über Indien, wo ein Massaker festzuhalten war, via Hongkong und Cebu mit Flugzeug, Schiff und Taxi nach Infanta gelangt. Sie hatten nur ein paar Worte gewechselt. Er war dann regelrecht vor Bowles davongelaufen und wäre in der Dunkelheit fast gestürzt. Auf eine Matte gebettet, mit gewaschenen Händen und Brüsten, war die Unbekannte wieder am Boden gelegen, ein Bündel im Arm, ihr Neugeborenes; der Gedanke an das Kind ließ ihn nicht schlafen. Müde und durstig stand er auf; seit kurzem ging er nachts zum Kühlschrank.
Im Gemeinschaftsraum brannte Licht. Butterworth saß in der Leseecke und schrieb. Sie nickten sich zu. Kurt Lukas holte seinen Wasserkanister. Er trank und dachte an den Streit mit Mayla. An die Frau im Schmutz. Wer für die eine Frau blind ist, kann die andere nicht lieben – du liebst nur mein Gesicht, sagte Mayla. Aber Schmutz ist Schmutz, hatte er leise widersprochen, und sie war aufgestanden und gegangen. Der bleiche Priester unterbrach seine Arbeit. »Ich bekomme nachts auch immer Durst«, sagte er. »Nur etwas früher als Sie.«
»Haben Sie gewartet auf mich?«
»Seit einer guten Stunde. Wie war Ihr Abend?«
Kurt Lukas verschwieg den Streit und kam gleich auf die brennende Hütte und erzählte von Bowles. »Bowles gab damit an, immer die Vorhut zu sein, egal, wo es brennt. Nach ihm kämen die Zeitungsleute, später die Burschen vom Fernsehen.«
»Ich glaube nicht, daß dieser Mann ein Auge für Infanta hat«, bemerkte Butterworth. »Wo wohnt er überhaupt?«
»Er sagte mir nur, Man findet mich abends an dem einzigen Ort, an dem es sich hier aushalten läßt. Ich ging dann rasch davon und wäre beinahe über eine Frau gefallen, der ich schon zweimal nachts begegnet bin. Sie hat kaum etwas an, und ihr Haar ist
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