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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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geschoren.«
    »Wir haben von ihr gehört«, warf Butterworth ein. »Sie lehnt jede Hilfe ab. Aber weiter.«
    »Als ich zum ersten Mal auf sie stieß, war sie wohl schon recht schwanger, denn heute hatte sie ein Neugeborenes im Arm. Und aus irgendeinem Grund streckte sie es mir entgegen und machte ein Feuerzeug an, damit ich das Kind betrachten konnte. Sein Gesicht hatte den Farbton von Abendrot, der Flaum auf dem Kopf war noch feucht. Unter den geschlossenen Lidern, Strichen nur mit je einem Fältchen darunter, zuckte die Haut. Schließlich öffnete es die Augen, die von einem durchsichtigen Blau waren. Etwas entsetzt schauten sie an mir vorbei, bevor sie sich wie die Augen von Süchtigen wegdrehten. Mein erster Gedanke war dann, ich könnte es nie am Leben erhalten, es würde mir zwischen den Fingern zerrinnen. Und wie ich das noch dachte, griff es nach meinem Daumen, entwaffnend kraftlos, wenn man das so sagen darf, und ich sah auf seine winzige Hand mit ihren muschelblanken Nägeln und bemerkte auf dem Handrücken Fetzen von abgestorbener Haut. Diese Hautfetzen und der noch feuchte Haarflaum und sein kraftloser Griff brachten mich erst auf die Idee, daß ich ein Neugeborenes hielt. Seine Mutter – sie machte keinen erschöpften Eindruck auf mich – ließ immer wieder das Feuerzeug aufflammen, und ich sah ihrem Kind ins Gesicht; ein bißchen sorgte ich mich wegen seines fliehenden Kinns, ob sich das auswachsen würde. Sonst schien mir alles in Ordnung. Natürlich fragte ich mich, wer der Vater sein mochte, und wohl in dem Glauben, ich käme der Antwort dadurch näher, roch ich an dem Kind. Ich nahm keinerlei Geruch wahr, als sei die Haut noch nicht von dieser Welt, was sicher übertrieben klingt. Und vielleicht glauben Sie mir auch nicht, daß es Lippen hatte wie unter einer Lupe gezeichnet. Alles an diesem Lebewesen erschien mir fein, selbst eine Art Pech zwischen seinen Schenkeln. Es war so voll davon, daß ich nicht sagen könnte, welches Geschlecht es hatte. Schließlich reichte ich das Kind zurück, und die Mutter stieß einen Laut aus, der mir in diesem Moment wie ein Allerweltswort für danke vorkam. Ich ließ ihr etwas Geld da und ging auf dem kürzesten Weg zur Station. Das war mein Abend.«
    Butterworth legte den Stift hin. Er hatte sich Notizen gemacht. »Ein guter Abend, Mister Kurt. Sie erleben mehr, als man vermutet; Ihr Gesicht täuscht den Betrachter.« Er wollte aufstehen und sich zurückziehen, doch es war schon zu spät – »Ich habe übrigens ein Papier verfaßt«, sagte er. »Ihr Äußeres betreffend. Ein Porträt in Worten. Aber betrachten Sie diese Mitteilung als vertraulich.«
    »Heißt das, ich darf es nicht lesen?«
    »Ich hätte es kaum erwähnt, wenn ich es Ihnen vorenthalten wollte. Doch warten wir besser damit, bis Gregorio bestattet ist. Sein Leichnam wurde heute freigegeben. Ab morgen wird er in der Hauskapelle aufgebahrt sein; noch eine vertrauliche Mitteilung. Und da wir gerade dabei sind – ich habe in den letzten Nächten daran gedacht, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, die ich bisher noch nie erzählt habe und eigentlich nie erzählen wollte. Aber auch damit würde ich gern warten.« Butterworth machte eine herausfordernde Pause, und sein Zuhörer fragte ihn, worum es gehe. »Nun, es geht um mich und eine ehrgeizige junge Frau und einen berühmten Liebesfilm, vielleicht den berühmtesten.« Kurt Lukas unterbrach ihn. »Eines fällt mir noch ein. Vor den Füßen der Mutter lagen leere Filmpackungen.«
    »Denken Sie an Bowles?«
    »Ja.«
    »Also hat er doch ein Auge für unseren Ort.« Butterworth holte ein Zigarettenpäckchen aus der Hose, zog sein Mundstück aus der Hemdtasche und schob die für den nächsten Tag gedachte Zigarette hinein. Dann sagte er: »Unter diesen Umständen sollte ich Ihnen meine Geschichte gleich erzählen. Denn ich fürchte, wir werden sprachlos sein, wenn hier erst alles besichtigt wird.« Er entzündete die Zigarette und saugte an der Spitze. Und nach zwei tiefen Zügen begann er von seinen New Yorker Jahren zu sprechen, den Jahren, in denen er als Laienkritiker eine Instanz gewesen sei, die man ernster genommen habe als manchen Herrn der Times.
    »Meine Auftritte in einschlägigen Cafés waren legendär. Literaten, die nicht von mir im Vorbeigehen mit Bemerkungen zu ihrem jüngsten Werk bedacht wurden, konnten in Krisen stürzen. Und es gab Redakteure, die darauf achteten, wen ich aufs Korn nahm. Ich will keine Namen nennen, aber nicht wenige,

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