Infanta (German Edition)
die später im literarischen Leben Bedeutung erlangten, habe ich aus der Taufe gehoben. Natürlich führte mein Ruf auch zu Einschmeicheleien. Stets durchschaute ich solche Manöver, nur in einem Fall war ich blind.« Und Butterworth erzählte von einer Autorin, die in seinen Augen den vollendeten Trivialroman geschrieben hatte, jedoch besessen war von dem Wunsch, daß er ihr Buch für Weltliteratur erkläre. Wie ein Kind, dessen Wünsche so heftig seien, daß schließlich die ganze Welt sich nach ihnen richtet, müsse man sich diese Frau vorstellen, sagte er und begann auf und ab zu gehen. »Sie hieß Belle und war bildschön. Vielleicht kennen Sie im Museo Pio-Clementino im Maskenkabinett die Kauernde Venus im Bade, eine Nachahmung, aber entzückend; so müssen Sie sich Belle denken, im übertragenen Sinne freilich. Ein geborenes Weib, nebenbei noch verwandt mit einem ermordeten Opernstar. Wahrscheinlich daher ihr Talent für das vollendet Triviale, dem ich den Titel Literatur verleihen sollte. Belle ging es dabei angeblich nicht um Karriere, sondern allein um meinen Segen. Sie begehrte diesen Segen geradezu, so wie sonst eine Frau – korrigieren Sie mich, Mister Kurt – meinetwegen die Behaarung eines Mannes begehrt.« Butterworth schenkte sich Eiswasser nach und trank einen Schluck; Farbe war in sein Gesicht gezogen. »Belle begehrte meinen Segen und also in gewisser Weise auch mich. Ich spreche das nur aus, um in Fahrt zu kommen. Denn es fällt mir nicht leicht zu gestehen, daß ich die eisernste Kritikerregel verletzte, indem ich mich mit der Dame traf. Und es blieb nicht bei dieser einen Verletzung. Wir trafen uns insgesamt sechzehnmal in den Jahren zweiundvierzig, dreiundvierzig. Alle Begegnungen fanden auf ihren Wunsch in der Halle eines bestimmten Hotels statt. Sie gehe dort allein des schwarzen Pianisten wegen hin, wollte sie mir einreden, aber ich wußte es besser. Das Victoria Hotel stand in dem Ruf, Künstler aller Couleur samt Begleitung diskret zu beherbergen. Mit anderen Worten, wir trafen uns in einer Absteige. Aber zurück zur Sache. Schon nach der zweiten Begegnung war ich in Belle verliebt. Nach der vierten begann ich, heimlich Gedichte zu schreiben. Nach der siebten fielen mir die restlichen Haare aus. Nach der elften waren meine Nägel abgekaut und nach der fünfzehnten hatte ihr Roman noch immer nicht meinen Segen, woraus ich heute den Schluß ziehe, daß ich mich etwas mehr geliebt haben muß als sie, was sicher auch umgekehrt der Fall war. Bei unserer sechzehnten und letzten Begegnung – am nächsten Morgen sollte ich mich zu meiner ersten Reise auf die Südinsel einschiffen – offenbarte ich mich Belle und holte sämtliche versäumten Ich-liebe-Dichs meiner Studentenzeit nach. Dazu kamen die Ich-liebe-Dichs, die ich im weiteren Leben würde auslassen müssen, und so sagte ich diesen sinnlosen Satz wohl an die zweihundertmal an dem Abend. Belle hatte wie üblich ihr Manuskript dabei und verlangte auch wie immer, laut und deutlich zu hören, daß es sich um Weltliteratur handle, wobei sie nur dann damit anfing, wenn ein namhafter Schriftsteller oder Drehbuchautor am Nebentisch saß. Und wie bei den vorangegangenen Stelldicheins verwehrte ich mich ihr wieder, und da geschah es. In einem Anfall von Verzweiflung, wie ich inzwischen vermute, bewarf Belle mich mit Ausdrücken, die ich keinesfalls wiedergeben möchte – Ausdrücken, die mich fast dazu gebracht hätten, ihr doch noch literarisches Talent zu bescheinigen, wenn ich nicht so fassungslos gewesen wäre. Ich beugte mich zu ihr, nur mit dem einen Gedanken, Belle zum Schweigen zu bringen, nahm ihre Hand und forderte sie auf, mir in die Augen zu schauen; und in meiner Verwirrung fügte ich Kleines hinzu, worauf sich ein Herr am Nebentisch gegen die Stirn schlug und hastig etwas auf seine Serviette schrieb. Den Rest der Geschichte kennen Sie, Mister Kurt, und ich muß gestehen, daß mir die Tränen kamen, als ich den Film nach dem Krieg zum ersten Mal sah.« Butterworth reinigte das Mundstück und steckte es wieder ein. Auf seinen Wangen waren kleine rote Flecken, als habe ihn eine Kinderkrankheit befallen. »Natürlich könnte man sich über all das lang unterhalten, aber damit sollten wir warten, bis das Interesse an Infanta wieder abgeklungen ist. Bei der Gelegenheit: Falls Ihnen jemand Fragen zu Gregorios Beerdigung stellt, setzen Sie bitte den ahnungslosesten Blick auf, der Ihnen zur Verfügung steht. Und nun will ich mich hinlegen,
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