Infanta (German Edition)
am Tisch, er setzte sich hin. So rasend wie sein Lauf war, waren jetzt seine Gedanken. Mayla war tot, verbrannt, verkohlt. Oder am Leben, verletzt, entstellt. Und Infanta war gestorben, ein unbrauchbarer Ort. Kindskaff , dachte er und sah in den Spiegel. Er erkannte sich kaum. So hatten Frauen ausgesehen, von denen er sich trennen wollte. Sein Gesicht machte ihm angst. Es löste sich auf, es verlor, wie die Dinge auf der Station, die er geliebt hatte; alles, was da benannt und gefilmt worden war, erschien ihm jetzt albern. Der Trödel alter Leute. Ihre alberne Bibliothek. Ihre alberne Anrichte, diese alberne Ordnung alberner Dinge. Die Aschenbecher mit dem Hinweis Don’t remove. Das kleine Waschbecken mit dem albernen Schwämmchen. Das alberne Varia-Fach. Die albernen Wasserkanister. Die alberne Durchreiche . . . Er haßte sich. Wie er sich immer gehaßt hatte, wenn er zerstörte. Und er haßte die Fotografen. Wie übermächtige Eltern haßte er sie, samt ihren Bildern, die bald in jeder Illustrierten wären. Pacquin beim Unkrautzupfen. Pacquin, das Erdmännchen. Butterworth, der Glatzenkönig, sein Hinterkopf mit Brillenschnur. McEllis auf seiner Maschine. Der schielende Dalla Rosa. Der lahme Horgan. Der schwitzende Bischof. Die fette Sängerin. Die schöne Mayla, mal in Hosen, mal mit Rock. Die nackte Hazel; Knappsacks Truhe. Die Frau im Schmutz, mit Kind und Kegel. Fidelios Kabine, Cooper-Gomez’ Salon. Narciso, ein Ei schälend. Flores am Friedhof; Gussmanns Grabinschrift, Born in Frankfurt, died in Infanta. Schließlich er selbst. Das alles war nur noch Schund. Er hörte etwas und sprang auf, er rannte vor die Hütte. »Bist du es?« rief er, und sein Haß verschwand.
Es war ein nahender Wagen. Abgefallene Palmwedel krachten unter den Reifen. Kurt Lukas winkte und lief den hüpfenden Lichtern entgegen, eine Hupe erklang, fünf Töne, die ein heißgeliebter Anfang waren, und er rannte mit offenen Armen, bis ihn ein Schmerz traf, jäh und umfassend, ein Anprall gegen Brust und Bauch, der ihn auf einen blauen Kühler warf, bevor ihn Glas und Chrom erfaßten und er durch die Luft flog.
E s kühlte nicht ab. Auch gegen ein Uhr früh herrschte noch drückende Hitze. Nur Kinder und zu Tode Erschöpfte schliefen. Die Journalisten saßen in ihrem Hauptquartier, einer großen Garküche mit Blick auf den Friedhof, und sprachen über den Brand. Viele Bewohner Infantas schauten um diese Zeit noch in die glimmenden Reste der Bude; Musiknarren durchgruben die Asche nach Knappsacks Plattenschatz. Andere waren bei den Verletzten, die man ins Hospital von Malaybalay geschafft hatte, oder beweinten die Opfer, zwei Frauen und drei Männer. Die übrigen zeigten Mitleid mit den Hinterbliebenen und sich selbst. Der ganze Ort war durch das Feuer ärmer geworden, und als bedauernswertester Mensch weit und breit galt Doña Elvira. Mayla stand der Umherirrenden zur Seite, nachdem sie den Verwundetentransport in Gang gebracht hatte. Aber auch Hazel, die in Ferdinand den alleinigen Brandstifter sah, mußte beruhigt werden; sie wäre fast in die Flammen gelaufen, um für den Neffen zu büßen. Unfähig, den Ort des Geschehens zu verlassen, hatte Hazel die Freundin schließlich überredet, nach Hause zu gehen.
Mayla ging durch die Nacht. Sie war sterbensmüde und dabei hellwach. Ihr Tag hatte anstrengend begonnen, mit dem Richtigstellen falscher Meldungen, war anstrengend weitergegangen, mit dem Vertrösten der Gläubigen, die Gregorios Sarg küssen wollten, und hatte mit einem unerwarteten Besuch am Abend noch lange kein Ende erreicht. Bowles war plötzlich in der Tür gestanden, in der einen Hand Geld, in der anderen die Kamera. Er gab ihr hundert Dollar ohne Quittung, Für die Ärmsten , und sie ließ ihn eine Stunde gewähren. Während er von Indien, New York und Berlin erzählte, nahm er jede ihrer Regungen auf. Er machte Bilder von Maylas Widerwillen, ihrer Scham und jeder Spur von Entgegenkommen, er ließ sie nicht einen Moment aus den Augen. Immer wieder schlug er ihr etwas anderes vor, leise, freundlich, nebenbei, und erreichte, daß sie Reis aß, obwohl sie nicht hungrig war, sich schminkte, obwohl sie nicht ausging, und Kleider anzog, die sie nur an Sonntagen trug. Hinterher hatte sie sich von Kopf bis Fuß gewaschen und dabei an ihn gedacht: wie oft er schon so fotografiert worden war. Und alarmiert durch den Zahlenunterschied, hatte sie sich an Doña Elvira gewendet, die das Schaugeschäft kannte; als die Sängerin ihr
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