Infanta (German Edition)
den Reigen mit Bowles nicht ansah, war ihr klargeworden, daß sich hinter Lukas’ Lächeln Welten verbargen.Wie anders als sie mußte er sein nach tausend solchen Stunden, ohne Armenspende. Sie steckte sich eine Zigarette an und warf sie vor dem ersten Zug in die Dunkelheit. Die Nacht war sternlos, und nirgends brannte mehr Licht. Hütten und Läden verschmolzen mit Stauden und Sträuchern, Sträucher und Farne verschmolzen mit dem Weg. Und trotzdem sah Mayla – sie war stehengeblieben, suchte ihren Schlüssel und merkte, daß sie nicht abgesperrt hatte – dann einen Fuß aus dem Gras ragen. Sie trat näher und bückte sich, sie machte ihr Feuerzeug an. Kaum hörbar schrie sie auf.
Sie hatte Kurt Lukas gefunden. Er lag auf dem Rücken, die Beine verdreht, eine Hand hinter dem Kopf. Sein Haar glänzte rot. Mayla rief nicht um Hilfe und brach nicht zusammen; sie kniete sich neben ihn und horchte an seinen Lippen. Er atmete noch, und sie leuchtete ihm ins Gesicht. Seine Augen standen halb auf, doch sie schauten zur Seite. »Ich bin es, hörst du, ich bin bei dir.« Sie wollte ihm den Gürtel lokkern und spürte warme Nässe an den Fingern; wie im freien Fall hob sich ihr Inneres. Plötzlich wußte sie, daß es keine Hilfe mehr gab. Die Zerstörungen an seinem Körper waren zu groß. Ein Knie war zerschmettert, ein Schenkel gespalten. Die Gürtelschnalle schwamm im Blut. Der Brustkorb schien eingedrückt, der Schädel gebrochen. Sie berührte seine Wange. »Lukas, erkennst du mich?« fragte sie. Er bewegte die Lippen und schielte für einen Moment. Dann sah er langsam zu ihr auf, und langsam hob er eine Hand. Mayla streichelte sein Kinn und vermied es zu sagen, Bewege dich nicht. Er sollte tun, was ihm noch möglich war.
Er drehte die Hand etwas und schloß Daumen und Zeigefinger. Nach einer Pause bewegte er beide Finger, entzweite die Kuppen und schloß sie erneut, um sie dann wieder einen Spalt breit zu öffnen. Mayla begriff, daß dies jetzt sein Mund war. Und sie begriff, daß er sich unterhalten wollte. »Stell dir vor, die Bude ist abgebrannt. Was glaubst du, wird Doña Elvira noch einmal neu anfangen?« Er bewegte die zwei Finger. Ein sachtes Gegeneinanderreiben ihrer Kuppen hieß ja . »Dann hättest du auch bald wieder deinen Ort, wo du am Abend hingehen könntest«, sagte Mayla. Er verbot ihr, so zu reden. Schnelles Trennen der Finger hieß nein . Sie beugte sich über ihn; offenbar sah er nur Zeitverschwendung darin, wenn sie ihm die Zukunft ausmalte. Sie küßte seine Nase, sie hielt seine Lippen feucht. »Hast du große Schmerzen?« fragte sie ihn, und er rieb die Fingerkuppen erst und trennte sie dann.
Mayla beugte sich tiefer. Sie spürte seinen Wimpernschlag am Ohr und dachte an die Nacht, in der sie sich zum zweiten Mal geliebt hatten. »Ich erwarte ein Kind von dir«, sagte sie. »Es war damals kein Spaß, als ich es dir erzählte. Unser Kind lebt schon eine Weile in mir. Noch in diesem Jahr bringe ich es zur Welt. Wenn es ein Mädchen wird, soll es den Namen meiner Mutter tragen, wenn es ein Junge wird, deinen.«
Er hörte ihr gespannt zu. Kleine rote Blasen traten ihm aus dem Mund. Dann stöhnte er auf einmal, und seine Gürtelschnalle verschwand unter Blut. Wie ein rasch wirkendes Gift breitete sich jetzt die Angst in Mayla aus. Ihre Stimme wurde undeutlich, doch schien er jedes Wort zu verstehen. Sie sprach von dem Kind, das sie schon spüre, und ohne Unterbrechung bewegte er die geschlossenen Finger; völlig gebannt starrte sie auf dieses heftige Ja, bis seine Hand zu Boden glitt. Er grub ein wenig Erde um, tauchte den Zeigefinger in die kleine Mulde und schob mit dem Daumen die gelockerte Erde darüber, und Mayla begriff seinen Wunsch.
»Du wirst hierbleiben«, sagte sie.
Seine Hand ruckte hoch, er bedeckte sich den speichelnden Mund. Mayla küßte die Hand und legte sie neben seinen Schenkel. Dann riß sie ihm das Hemd in Streifen und zog es ihm vom Körper, damit er freier atme. Überall war nun Blut, und Mayla dachte daran zu beten. Aber dann wollte sie jede Sekunde, in der er noch über all sein Wissen von ihr verfügte, jeden Moment, in dem sie noch nicht verlassen war, nutzen. Sie griff ihm fest unter den Arm, spreizte ihre Finger und schützte mit der anderen Hand, die sie über ihn hielt, als sei er schon fern von ihr, das zerschmetterte Knie, senkte den Blick auf seinen Schoß und sagte beschwörend, »Ich bin es, die dich liebt.« Der Kopf fiel ihm zur Seite, wobei die Augen
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