Infanta (German Edition)
geboren, das zweite in den letzten Tagen. »Sollte sie mit dir kommen, wird sie bald eine magere alte Frau sein. Weißt du, wie oft sie hier jeden Tag gegrüßt wird? Mindestens zweihundertmal. Und für wie viele Guten Tags und Hallos und Wie geht’s? könntest du woanders garantieren? Für drei? Für vier? Für fünf?«
»Für drei bestimmt. Ein Guten Morgen. Ein Guten Tag. Ein Guten Abend.«
Augustin stand auf.
»Ich hätte Lust, dir ein Lied zu singen.«
»Warum tust du’s nicht?«
»Weil ich fürchte, du würdest es nicht hören«, sagte der Novize und ging.
Kurt Lukas wollte ihn zurückrufen, aber seine Hand hatte schon nach dem Brief gegriffen. Elisabeth Ruggeris Initialen standen auf dem Kuvert, unter dem Aufdruck Edward R. Butterworth, S. J. , und plötzlich haßte er sie. Wie nackt kam ihm der bleiche Priester jetzt vor, fast albern. Butterworth hatte für ihn nie einen Vornamen gehabt und schon gar nicht dieses bedeutungsvolle R besessen. Richard, Robert, Raymond oder was das hieß. Er öffnete den Brief und überflog die erste Seite. Gleich dreimal tauchte ihr Liebling auf, völlig uneingebettet; und mit spitzen Fingern, als könnten alle Lieblings aus den Zeilen springen, legte er den Brief auf den Boden und hielt den Atem an. Da raschelten Halme. Mayla ist es nicht, dachte er. Sie kommt und geht geräuschlos. Und übertrifft alle Erwartungen. Er betritt seine Kammer, sie ist schon da. Er dreht sich um, sie schaut ihn an. Er will sie lieben, sie liebt ihn längst. Er glaubt, sie weine, doch sie strahlt. Fürchtet, sie gehe, und sie bleibt. Denkt, sie schlafe, während sie wacht. Glaubt, er sei leer, und ist von nichts anderem erfüllt als von ihr. Er wußte nicht, was ihn mehr beglückte, wie Mayla war oder daß sich Mayla ihm hingab. Warum kann ich nicht singen, dachte er und hörte Zweige knacken.
Von Scheven stieg über die Brüstung.
Der Korrespondent wischte sich den Schweiß von seinem Backenbart, schlug nach Moskitos und sagte etwas atemlos, »Ich suche hier nicht die Leiche, ich suche ein Gespräch.« Kurt Lukas bat ihn zu gehen. Von Scheven schnippte sich Ascheflocken vom Hemd. »Es gibt zwei Möglichkeiten – daß ich gehe und etwas Verkehrtes berichte oder bleibe und ein genaueres Bild bekomme. Und schließlich kennen wir uns.« Er erinnerte an das Defilee der Präsidentengattin im Luneta Hotel und den Händedruck, der ihm entgangen war. »Sie haben der Dame eben besser gefallen«, sagte er und erzählte plötzlich von seinem Infanta-Material . Das reiche von bandagierten Hähnen und verblaßten Wahlplakaten über ein Gebirge von Bischof samt dessen singender Schwester, wenn man so wolle – deren Etablissement es ja nun leider nicht mehr gebe –, bis zu kleinen Läden mit abgegriffenen Liebesheftchen und einer im Dreck lebenden Obdachlosen mit Säugling. Von Scheven dämpfte die Stimme. »Wir haben uns überall erkundigt nach ihr. Fast jeder kennt die Frau, aber niemand spricht gern von ihr. Einige behaupten, sie habe sich seit Bestehen der Diktatur nicht mehr gewaschen, aus Protest. Andere erklären dagegen, dann hätte sie ja nach der Revolution damit Schluß machen müssen. Die Meinungen gehen auseinander. Der Poststellenleiter, Herr Fidelio, erklärte sogar, sinngemäß, diese Frau wisse von sich selbst kaum noch etwas, nehme aber für sich in Anspruch, das Leben einer Heiligen zu führen. Leider hat sie nichts gesagt während der Aufnahmen, nur einen Laut ausgestoßen, ich würde es mit einem Raben vergleichen. Aber Sie kennen die Frau sicher. Was halten Sie von ihr? Man sollte den Schmutz nicht überbewerten. Hier herrscht eine andere Kultur. Man wundert sich, wie verschieden Frauen sind. Verschiedener als Männer. Ich mache ja laufend etwas über Frauen. Die Revolution in diesem Land war eine Frauensache. Wir haben das immer betont. Sehen Sie den jungen Frauen hier in die Augen, und Sie wissen alles. Bei einer sagte man mir, es sei Ihre Geliebte. Die auf dem berühmten Plakat. Eine Kinderbibelschönheit, wenn Sie den Ausdruck erlauben. Sekretärin des Bischofs; mir fällt auch gleich der Name ein . . .«
Kurt Lukas fiel dem Korrespondenten ins Wort: »Was für ein Etablissement gibt es nicht mehr?«
»Diesen Musikschuppen. Er ist abgebrannt. Ich dachte, Sie wüßten davon. Man sah doch überall das Feuer. Als wir hinkamen, stürzte die Stripperin auf uns zu, die mit den zwei Bauchnabeln; sie war sehr verstört. Wir erfuhren von ihr, daß es Brandstiftung war. Aber viele
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