Infanta (German Edition)
etwas zugingen und der Mund etwas auf. »Kannst du mich verstehen?« fragte sie, »kannst du mich erkennen?«
In der Nähe schlugen Hunde an, und er erschrak. Sein Gesicht schien zu verfliegen, als bestünde es aus Sand. »Lukas, hörst du mich?« rief sie jetzt und brauchte, als sie plötzlich eine Hand am Bauch spürte, ihre ganze Kraft, um nicht zu weinen.
Kaum merklich bewegte er die Hand auf ihrem Bauch, als sei das Kind schon geboren und er wolle es beruhigen. »Ich werde ihm von dir erzählen«, sagte Mayla. »Ich erzähl von deinen Augen, ich erzähl von deinem Gang. Ich erzähl von deinen Händen, ich erzähl von deinem Mund. Und deinen Weg werd ich ihm zeigen und den Laden . . .«
Er hob die Brauen; nichts in ihm schien sich aufzulehnen gegen das Ende. Wie nach mühsamer, gelungener Arbeit lag er in ihren Armen und wurde immer leichter. Mayla glaubte ihn schon ohne Schmerzen und wunschlos, als seine Lippen ein Wort bildeten. Sie legte das Gesicht an seins, ihr raste das Herz. Jetzt verflog auch sein Atem, und doch regulierte er diesen Hauch noch einmal und sprach, fast überstürzt, in ihr Ohr.
»Ich möcht . . .«, sagte Kurt Lukas auf deutsch, und Mayla sah ihm fragend in die Augen, während die Hand auf ihrem Bauch zur Ruhe kam.
I n den folgenden drei Tagen wurde Augustin erwachsen. Noch unter dem Eindruck der Todesnachricht, die Flores am Morgen nach dem Brand überbracht hatte, hielt er sich stundenlang in Kurt Lukas’ früherer Kammer auf und sprach zu dem Verunglückten. Bei einer dieser Zeremonien – Thema Leben und Lieben – überraschte ihn Butterworth und tat, als habe er nichts gehört und gesehen. »Es geht um den Beisetzungswunsch von Mister Kurt«, sagte er und teilte jüngste Beschlüsse mit. Man war sich einig geworden, daß dem angeblich letzten Willen des Gastes, in Infantas Erde zu liegen – wenn auch nur durch schwache Zeichen geäußert –, unter zwei Voraussetzungen entsprochen werden sollte. Maylas Aussage – sie hatte sie De Castro gegenüber gemacht und seitdem nichts mehr gesagt – müßte sich in irgendeiner Form erhärten. Und es dürften sich keine Adressen Angehöriger finden.
Augustin begriff, daß er Zünglein an der Waage war, und log wie sein Vorbild, leicht und gut. Er sprach von bewegenden Unterhaltungen mit dem Deutschen – »gerade über den Tod, Father« –, zitierte nie gemachte Äußerungen, die Maylas Darstellung bestätigten, und schlug vor, Kurt Lukas’ Gepäck noch einmal nach Hinweisen auf eine Familie, nahe Verwandte oder einen Bekanntenkreis zu durchsuchen; »aber das würde ergebnislos enden«, fügte er mit sicherer Stimme hinzu. Butterworth schien nicht ganz überzeugt, aber zufrieden. Er riet Augustin, nicht bis zum Dunkelwerden in der Kammer zu bleiben, das belaste die Seele nur unnötig, und erreichte dann gerade noch seine eigene Kammer, bevor ihm die Tränen kamen; sie hatten alle geweint, jeder für sich.
Doch der Novize blieb. Er setzte sich aufs Bett und zog ein schmales Adreßbuch aus der Hose; während die Alten noch fassungslos um Flores gestanden waren, hatte er das Gepäck des Toten als erster durchsucht. Sein Gewissen war rein: Bei keinem war das Büchlein besser aufgehoben. Mayla hätte es nur verletzt. Alle übrigen verwirrt. Die meisten Namen und Nummern waren durchgestrichen. Anschriften enthielt es gar keine, als lebten die Leute in ihren Telefonapparaten. Gestrichene Frauen überwogen. Wo nur ein Vorname stand, war dieser eher durchgekritzelt; wo nur ein Nachname stand, hatte es ein einfacher Strich getan wie bei überflüssigen Worten. Die stehengebliebenen Nummern gehörten Agenturen, Lokalen und Geschäften oder Ärzten, Steuerberatern und Vorzimmerdamen; der Rest war unklar. Einzelne Buchstaben, Initialen und hingesudelte Abkürzungen standen vor oder hinter den Nummern. Der Name Lukas fand sich nicht, als habe der Tote weder Eltern noch Geschwister gehabt. Oder in Wahrheit anders geheißen.
Augustin steckte das Büchlein wieder ein und stand auf; nie hatte er eine traurigere Lektüre mit sich geführt. Nur hinter einem einzigen Eintrag, einem kleinen e mit einem Kreis darum vor einer langen Auslandsnummer, blitzten für ihn Glück und Leichtigkeit auf. Er wusch sich das Gesicht und dachte an Mayla – Marktfrauen hatten sie neben dem Toten liegend gefunden, fast ebenso starr, und Flores gerufen. Kurz darauf waren Narciso und der Bischof erschienen; De Castro hatte Mayla als letzter gesehen, bevor sie in ihrer
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