Infanta (German Edition)
Auffassung?«
»Ich teile sie, Father.«
»Kühne Genauigkeit, Mister Kurt, keine sinnlose Intensität, wie wir sie im Theater antreffen. Ich wünschte mir einen disziplinierten Liebesroman. Zärtlich streichelte er ihre kleinen Hände – welche Worte hätten Sie dafür?«
Kurt Lukas überlegte.
»Vielleicht: Unsicher, aber zärtlich streichelten seine großen Hände ihre kleinen.«
Butterworth hupte aus Versehen.
»Zwei Adverbien und zwei Adjektive bei nur neun Worten. Nein, Mister Kurt, so nicht. Er streichelte ihre Hände, Punkt. Die Tragik aller guten Sätze ist, daß sie sich in ihrer Einfachheit gleichen.« Der bleiche Priester bog in einen Weg, der an einem Tümpel endete; ein Schriftsteller saß da nicht neben ihm. Da saß ein Laie. Oder er wäre so überlegen, ihn mit laienhaften Formulierungen zu täuschen. Aber das gab es nicht. Die Menschen waren eitel, wollten zeigen, was sie konnten. Butterworth war beruhigt. »Sie müssen unsere Gans nachher streicheln, Mister Kurt. Nicht unsicher und auch nicht zärtlich, gewöhnliches Streicheln genügt. Es erleichtert ihr die letzte Stunde.« Er parkte neben dem Tümpel und verschwand, eingekeilt von Kindern, in einer Hütte.
Schon nach wenigen Minuten kam er mit einer schneeweißen Gans im Arm zurück. »Einhundertfünfzig Pesos, Mister Kurt, ein Vorzugspreis, geteilt durch sechs, macht fünfundzwanzig für jeden.« Kurt Lukas holte das Geld hervor, das ihm Mayla für den Bus gegeben hatte. »Jetzt nicht, am Monatsende«, sagte Butterworth und übergab die Gans. Sie war an den Füßen gefesselt und hatte ein Klebeband um den Schnabel. Kaum spürte sie etwas Spielraum, öffnete sie die Flügel, und Kurt Lukas rief ein deutsches Hilfe! Die Gans verdrehte den Kopf, sie schaute ihn an, und er schloß die Arme um ihren bebenden Leib. »Wer wird sie töten, Father?« Der bleiche Priester wendete. »Das könnte Mayla noch tun, oder darf sie das an diesem Tag auch nicht? Sonst macht es vielleicht einer von uns. Oder Sie, wenn Sie Erfahrung mit so etwas haben.« Er erhielt keine Antwort. Kurt Lukas war jetzt der Gans ausgeliefert. Immer wieder öffnete sie die Flügel und zischte. Butterworth griff ihr an die flauschige Brust.
»Locker streicheln, nicht verkrampfen, auch etwas reden mit ihr.«
Beklatscht wie zwei Sportgrößen, verließen sie Infantas Hauptstraße und näherten sich Gussmanns Laden. Der Priester beschleunigte den Jeep. »Halten Sie meine Fahrweise nicht für kindisch, Mister Kurt – aber Wilhelm würde glatt aufspringen, um mich zu provozieren. Zur Zeit ist er Strohwitwer. Flores ist bei ihrer Schwester, die ein Kind erwartet. Wie finden Sie ihn überhaupt?«
»Ich finde ihn ungewöhnlich«, rief Kurt Lukas in den Motorlärm. Butterworth drosselte das Tempo wieder. »Gussmann ist nur unglücklich, mehr nicht.« Sie bogen noch einmal ab und fuhren in einen holprigen, von schmalen Lebensmittelständen gesäumten Weg. »Ein paar Dinge brauchen wir noch, Mister Kurt. Haben Sie Geduld mit dem Tier. Und hören Sie nicht auf, es zu streicheln.« Er hielt und sah auf seinen großen Zettel. Händler traten an den Jeep; Kinder neckten die Gans. Wir schmoren sie mit Feigen, hatte Horgan geflüstert, dann bleibt auch etwas für mich – Feigen also. Butterworth verlangte Feigen und sah erneut auf den Zettel. Gans mit Feigen, das war bei Dalla Rosa auf alte Erinnerungen gestoßen. Wir reichen dazu frische Polenta mit Pecorino bestreut, hatte er ausgerufen. Alles übrige, das ihm noch eingefallen war, boten die Beete des Superiors: Staudensellerie, Tomaten, Karotten, Zwiebeln, Majoran und Thymian, sogar das Basilikum für die Vorspeise – Polenta hatte Butterworth sofort gestrichen, das klang auch nicht gut. Es blieben die Spaghetti und der Rotwein. Er führte ein kurzes Gespräch. Die Händler nickten. Italienische Nudeln, ob das solche dünnen, länglichen seien? Man bat ihn zu warten; werde man auftreiben, diese Spaghetti. Und auch einen Rotwein – süß oder sauer? »Keine Ahnung«, sagte Butterworth. »Hauptsache rot.« Die Händler zogen los, und er fuhr in den Schatten und stellte den Motor ab.
Der bleiche Priester legte den Kopf zurück. Seine Nase glänzte. Zum ersten Mal hatte ihn die Einkaufstour Kraft gekostet. Wenn es nur das Ungewöhnliche wäre, was zu besorgen war; aber es war zu besorgen, weil Ungewöhnliches geschah. Mayla verließ das Haus, ihr Geliebter blieb, Butterworth schaute ihn aufmerksam an. »Was mich seit langem beschäftigt,
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