Infanta (German Edition)
ihrer unbedeckten Ohren. Dachte, was soll das. Sie sprach nicht, sie sah uns nur der Reihe nach an. Eine Verwandelte. Dalla Rosa fand als erster Worte, er sagte, Willkommen, und bat zu Tisch, da sonst die Nudeln verklebten. Wir zeigten Mayla ihren Stuhl, wir forderten sie auf, sich zu setzen, und nahmen nach ihr Platz. Noch immer hatte sie nichts gesagt, ihre Hände spielten mit Zigaretten und Feuerzeug. Mayla wollte rauchen, aber Dalla Rosa häufte ihr seine mit grüner Paste angereicherten Spaghetti auf den Teller und berieselte sie reichlich mit geriebenem Käse. Schauten ihr zu, wie sie zu essen begann, und warteten auf ihr Urteil.
Mayla wollte unsere Gespanntheit offenbar nicht bemerken. Sie aß ohne Unterbrechung. Bald stand fest, daß sie wohl kaum etwas äußern würde, solange noch eine Nudel auf ihrem Teller läge. Wir aßen dann auch, und die Atmosphäre lockerte sich; es ist ja nicht völlig aus der Luft gegriffen, daß man mit Aussicht auf eine gefüllte Gans heiterer gestimmt ist als im Hinblick auf Trockenfisch und Ketchup. Natürlich behielten wir Mayla weiter im Auge. Wunderte mich, wie ungeniert sie ihre Finger benützte. Sie aß wie ein reinliches Tier. Denke gerade, ich kenne sie im Grunde kaum. Nach dem letzten Happen sagte sie schließlich, Es war gut, wie heißt das Gericht? Dalla Rosa informierte sie und verriet ihr auch, daß es als Hauptspeise Gans gab. Ach, eine Gans, rief Mayla, als ob sie das nicht gewußt hätte!, und ihr erstes Lachen erschien, ihr schönstes gleich, mit Fältchen auf der Nase. Von dieser Gans rede doch halb Infanta, von dieser Gans und von einem Schrei. Und mit dem Wort Schrei blickte sie zu Mister Kurt, legte den Kopf ein wenig schräg und kaute ihre Unterlippe. Unser Gast sah zur Decke, ich versuchte, das Thema zu wechseln, fragte Mayla, weshalb sie sich das Haar habe schneiden lassen. Ihre Antwort: ein Lächeln für mich. Offenbar war sie nicht bereit, über ihr verändertes Aussehen zu sprechen. Mir schien sogar, daß sie diesseits der Durchreiche überhaupt nicht bereit war, mehr als einen Satz zu sagen. Wir hatten uns das alle etwas anders gedacht. Sie bat dann um Raucherlaubnis, und Butterworth gab ihr Feuer; Pacquin fragte mich, was er sich unter Maylas Haar vorzustellen habe, und Horgan wollte von Mister Kurt wissen, wie er denn den neuen Schnitt finde. Unser Gast drückte sich wie immer undeutlich aus. Ganz hübsch, sagte er. Darauf Horgan: Dann stünde die eigenwillige Haartracht ja einer Heirat nicht im Wege. Grabesstille. Sekunden, die Butterworth nutzte, um mit einer Gabel dreimal an sein Glas zu stoßen.«
Vor der entscheidenden Passage machte McEllis eine Pause. Er klebte die beschriebenen Zettel ein, ging in der Kammer auf und ab, streichelte die Hündin, schnappte am Fliegengitter nach Luft und vermerkte im Wetterteil des Buchs Zeit und Temperatur, »Zwei Uhr früh, achtunddreißig Grad, kein Wind«. Und vom Klebestoffgeruch schon leicht stimuliert, fuhr er fort.
»Wie bei seinen berühmten Predigten stellte sich Butterworth ganz ungeschützt in den Raum und begann mit der Ansprache, die ich unter dem Tisch hastig mitschrieb. Liebe Mayla, verehrter Mister Kurt, meine Brüder! Ist dies heute ein trauriger oder ein freudiger Anlaß? – Hatte plötzlich den Eindruck, B. habe die Frage noch gar nicht durchdacht; denn er beging den Fehler, über sie nachzudenken, während er weitersprach. Jedenfalls verlor er seinen Faden und sollte ihn nicht wiederfinden, wenn es zu dieser Rede je einen Faden gegeben hatte. Der Arme sprach, ohne sich zuzuhören; ich spürte das und sah zu Mayla. Langeweile schien ihre Nasenflügel zu dehnen, und da war mir klar, ihr raste das Herz. – Sie sei von Jahr zu Jahr schöner geworden, erklärte ihr Butterworth, ja, von Mal zu Mal, wann immer jemand das Glück gehabt habe, sie hinter ihrer Bühne zu erblicken. Hier machte er einen ersten, fast noch amüsanten Exkurs, philosophierte über die Durchreiche, nannte sie Grenze von Anwesenheit und Abwesenheit und zog gar Parallelen zum Höhlengleichnis, ehe er Opfer eines unseligen Gedankensprungs wurde: Diese Durchreiche stelle freilich auch von der anderen Seite ein intimes Theater dar... Kurz, Butterworth versetzte sich in Mayla hinein. Wie sie uns wohl die ganzen Jahre über gesehen habe? Als Priester? Als Väter? Als Pensionäre? Nun, zweifellos habe sie Blicke bemerkt, die über das Väterliche hinausgegangen seien, und auf ihre Weise darauf geantwortet: mit Rosinen und
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