Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
bist du geboren in Deutschland?«
    »Was spielt das für eine Rolle.«
    »Kindheit?«
    »Schwarzwald.«
    »Liebst du die Gegend?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Also keine bevorzugte Landschaft.«
    Kurt Lukas schwieg, und Gussmann fragte weiter.
    »Mehr westdeutsch oder mehr ostdeutsch?«
    »Mehr süddeutsch.«
    »Mehr süddeutsch, davon hört man nichts; Schulzeit?« »Frankfurt. »
    »Ha! Meine alte Stadt. Als Junge sprach ich, wie die Menschen dort sprechen, leicht durch die Nase. Was bedeutet dir Goethe?«
    »Nichts.«
    »Und der Main?«
    »Nicht mehr als der Rhein. Er ist ebenso beige. Das ganze Land ist beige. Die Autos, die Mäntel, die Leute.«
    »Und die Sprache? Hat sie ihre Farbe behalten?«
    »Schon möglich.«
    »Du weißt es nicht?«
    »Ich spreche nicht oft deutsch.«
    »Deine Muttersprache sind die Posen. Vielleicht sollten wir unser Gespräch über Mayla auf englisch führen.« Gussmann durchstach die Haut über dem Kehlkopf, mit dem kleinen Finger schützte er die Ader. »Nur werde ich leider bei diesem Gespräch unterliegen. Denn sicher denkst du nicht so viel über Mayla nach wie ich. Ich denke pausenlos über sie nach. Ein Fehler. Es gibt nichts Sinnloseres als das Nachdenken über einen Menschen, den man liebt. Aber das dürfte dich kaum beschäftigen. Und darum wirst du einfach daherreden, so wie ein Schläger einfach zuschlägt. Oder daherlächeln, schon aus Gewohnheit. Solange dir das gelingt. Nach der Frechheit des Erfolgs kommt in der Mode ja das rasche Verblühen, und irgendwann hinkt auch jemand wie du hinterher. Ich bin ein Leben lang der Liebe hinterhergehinkt. Ich habe Erfahrung im Hinken. Wenn du nicht aufpaßt, holt dich ein Hinkender ein.« Wilhelm Gussmann rang nach Luft. Ein Stich fehlte noch. »Übrigens«, sagte er keuchend, »meine einstigen Mitbrüder wollen für Mayla ein Abschiedsessen geben, wie ich erfuhr. Die neue Sekretärin des Bischofs soll gefeiert werden« – er setzte die Nadel an –, »also ein Festmahl. Mayla und du als Ehrengäste, und wie ich die Tischgespräche kenne, werden Scherze gemacht, die keine sind. Ein etwas angeheiterter McEllis dürfte fragen, ob du sie denn nun liebst . . . Antwort?«
    »Ja.«
    Ein dünner Blutstrahl schoß in Gussmanns Gesicht, wurde dicker, bog sich, sprudelte wie ein Brunnen, fiel in sich zusammen und stieg noch einmal aus einem kleinen Teich in der Kehle des Hahns auf. Der Besitzer stürzte herbei, die Zuschauer drängten heran, während das Tier mit den Flügeln schlug und knarrende Töne ausstieß. Der frühere Priester wischte sich die Spritzer von Wimpern und Brauen. Nur seine weißen Stoppeln zitterten, als er die Gnadennadel nahm und sie dem Hahn schnell ins Herz trieb. »Aus, Ende, vorbei«, sagte er und gab dem weinenden Besitzer die Tageseinnahmen; packte die Instrumente ein, zog seinen Strohhut vor der schweigenden Menge und entfernte sich eilig.
    Kurt Lukas lief ihm nicht nach. Er setzte sich und trank etwas. Erst als es dunkel wurde, verließ er den Ort. Eine immer noch tiefer sinkende Schwärze legte sich auf Infanta; über den Waldkuppen blitzte es fahl. Kein Lufthauch ging. Die Menschen standen in kleinen Gruppen und rauchten. Überall glimmte es, kaum jemand sprach; Frauen wuschen langsam ihr Haar. Beginn einer windlosen Nacht, der ersten von vier.
    Er überquerte die Hauptstraße und bog in einen Weg, den er nicht kannte. Vielleicht hätte er nicht ganz so deutlich ja sagen sollen. Wenn dieses Ja überhaupt stimmte. Schließlich hatte er sich nie in etwas anderes verliebt als in die Art einer Frau. Und was es da nicht alles gab! Die Art, sich für ihn feinzumachen, am späten Nachmittag in ein Café einzuschweben mit wehendem Mantel, frisch vom Friseur, leicht überdreht. Und wie liebte er dann eine bestimmte Art von Geplapper in dieser Stunde vor der Liebe, das Erzählen von einem Einkauf, einem Film, einer Reise, einem Malheur, während er auf die Straße sah, ab und zu Feuer gab, über das Teekännchen strich und über sein Haar, weit offen für alles, was in ihn hineingelegt wurde, ein grenzenloses Depot. Kurt Lukas blieb stehen. Er glaubte auf einmal, ganz in der Nähe von Maylas Hütte zu sein. Vielleicht war sie zu Hause. Und er könnte sie überraschen. Aber vielleicht war sie auch nicht allein; Gussmanns Gerede vom Sterben nahm er nicht ernst. Wieso gerade im März? Und warum dann nicht gleich? Worauf wartete er. Kaum merklich, wie ein schwacher Infekt, keimte ein Gefühl in ihm auf, das er nur

Weitere Kostenlose Bücher