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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Gans und tupfte sie trocken, salzte und pfefferte sie und rieb ihre Haut mit Majoran und Thymian ein, wobei er ständig betonte, er könne nicht die Verantwortung übernehmen: Zwar stamme er aus der Triester Gegend, wo ordentlich gekocht werde, aber nicht aus einer Wirtshausfamilie. Von meinen mitgebrachten Nudeln hielt er gar nichts. Während McEllis und ich Gemüse putzten – wobei McEllis mehrere Notizen machte, er tut das inzwischen vollkommen offen –, rührte Dalla Rosa einen grünlichen Brei an, in dem die Spaghetti gewälzt werden sollten. Horgan sah unserem Gast beim Halbieren der Feigen zu; Pacquin hatte sich geweigert, die Küche zu betreten. Dieses Abschiedsmahl sei vorwiegend eigennützig, argumentierte er. Aber da Mayla auch etwas davon habe, unterstütze er es auf seine Weise. Und so reichte er gelegentlich Zettel mit einem seiner raumfüllenden Worte in die Küche, Vorschläge für die Zubereitung der Gans. Offenbar verfolgte Pacquin einen eigenen Plan. Sein Rezept war spartanisch. Salz stand dort, Wasser; Petersilie. Dalla Rosa nahm alle Zettel entgegen, beachtete sie aber nicht. Er schritt um den Herd herum und summte italienische Worte. Sein großer Tag. Immer wieder erteilte er Anweisungen an die Hilfsköche. Bitte Sahne schlagen, Mister Kurt. Bitte eine Zwiebel, McEllis, aber kleinhacken. Und du, Butterworth, schäl mir Tomaten, öffne den Rotwein, reibe etwas Käse und halte ein Sieb bereit. Mit dem Rotwein schien Dalla Rosa zufrieden. Das eine Fläschchen trank er, um zu probieren, wie er sagte, mit dem anderen übergoß er die schmorende Gans. Gegen sechs Uhr roch es bereits, daß wir uns gegenseitig mit Glückwünschen überhäuften. Es duftete bis in die Kapelle, und ich entschloß mich, die Messe abzukürzen. An meiner Stelle hättest Du wohl ebenso gehandelt; wer kann schon ernsthaft beten, wenn es nach einer brutzelnden Gans riecht. Außerdem wollten sich alle noch etwas zurechtmachen. Kurz vor sieben versammelten wir uns um den Tisch, während Pacquin auf die Veranda schritt, um Mayla zu empfangen. Ich lüftete dann noch etwas, denn keiner hatte mit Rasierwasser gespart. Dalla Rosas Wangen waren so glatt wie mein Kopf, und man sah ihn zum ersten Mal mit einem Halstuch; Horgan trug seine neuen weißen Schuhe und trotz der Hitze auch weiße Socken (vor uns lag die dritte windlose Nacht). Ich überflog noch einmal die Stichworte zu meiner Rede – einer Rede, die ich besser Wort für Wort hätte aufschreiben sollen –, und McEllis griff ständig in seine Hosentasche, ob das Armband auch noch da sei. Paquin erlöste uns schließlich mit einem Sie kommt, und wir stellten uns auf. Ich ordnete ein letztes Mal die Blumen vor ihrem Platz – sechs rote Paphiopedilum, eine für jedes Jahr mit ihr. Mayla sollte zwischen Mister Kurt und mir, dem Redner des Abends, sitzen. Alles war bereit, alles war vollkommen. Auf dem Tisch dampften die Nudeln, von den Bierflaschen perlte das Wasser, in den Gläsern stand der Schaum, im Bräter köchelte die Gans. Nach einer bangen Minute vernahmen wir Schritte im Gang und wurden so still, daß wir die Geigen der Moskitos hörten, und dann erschien sie in der Tür – ein anderer Mensch, dachte ich.«
    Bis zu diesem Augenblick hatte Butterworth den ungewöhnlichen Nachmittag und frühen Abend korrekt wiedergegeben, höchstens mit leichten Übertreibungen bei der Schilderung des Kochens – so war Dalla Rosa zu keinem Zeitpunkt summend um den Herd gelaufen – und einer Auslassung am Ende: eine kleine blaue Fliege, die Butterworth sich kurz vor Tisch umgebunden hatte, war unerwähnt geblieben. Mit dem Eintritt von Mayla in den Gemeinschaftsraum und damit in seinen Brief wurden Butterworth’ Wiedergaben, bei aller Detailliebe, ungenau. Er wählte schiefe Vergleiche, verstieg sich in Selbstanalysen, verlor jeden Witz, erwog, alles neu zu erzählen, und scheiterte schließlich bei dem Versuch, seine Ansprache zu rekonstruieren; mit den Worten »Der unglücklichste Toast meines Lebens!« gab er auf.
    Eine vollständigere und brauchbare Beschreibung des Abschiedsessens sollte dafür McEllis gelingen. Während Butterworth nebenan schon unter Alpträumen litt, begann er erst mit der Reinschrift.
    »Mayla hatte sich das Haar kürzen lassen. Es stand ihr nach allen Seiten ab, ich erkannte sie kaum. Sie trug eine verwirrende Hose, wie Soldaten und Rebellen sie tragen, und ein dünnes Jackett. Ebenso erstaunlich: ein Hauch von Rot auf ihren Lippen sowie ein Ring an einem

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